Sexflaute – was tun?

Wer kennt es nicht – die Phase am Anfang einer Beziehung, in der man auf Wolke Sieben schwebt, total verrückt nacheinander ist und am liebsten eigentlich Tag und Nacht nur Sex hätte? Die meisten von uns kennen aber wohl auch die Phase, die danach kommt: Die Leidenschaft scheint irgendwie einzuschlafen, und außer Kuscheln ist im Bett nicht mehr viel angesagt. Viele fragen sich dann: “Was stimmt denn nicht mit uns? Am Anfang war doch alles ganz anders!” Wieso das aber total normal ist, was helfen kann, das Feuer wieder zu entfachen, und was Pandas damit zu tun

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Was hinter der Sexflaute steckt

Sowohl von uns selbst als auch von anderen, die wir mehr oder weniger freiwillig in der Öffentlichkeit dabei beobachten dürfen, kennen wir das Phänomen: In der ersten Verliebtheitsphase kann man die Finger nicht von dem oder der anderen lassen. Auf einmal flacht die Leidenschaft aber ab und wir würden eigentlich am liebsten einfach nur noch kuschelnd gemeinsam vor dem Fernseher liegen – im Bett: Flaute. Man nennt das übrigens auch das “Panda-Syndrom”: Pandas kuscheln nämlich auch ganz viel, haben aber kaum Sex. 

Auch wenn uns diese Phase leicht in Zweifel und Unsicherheiten in Bezug auf uns selbst und die Beziehung stürzen kann, ist das normal und gehört zu einer gesunden Beziehung. Es ist nämlich der Übergang vom Verliebtsein zur Liebe. Zur Flaute im Bett gehören oft zwei Ebenen: Die biologische und die psychologische.

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Die evolutionsbiologische Ebene

Beim Übergang von der Verliebtheitsphase zur Liebe findet ein Umschwung der Hormone statt, der dazu führt, dass die Leidenschaft abflacht. In der ersten Verliebtheitsphase, die bis zu 9-12 Monaten anhalten kann, wird besonders viel Dopamin ausgeschüttet. Dasselbe passiert übrigens bei Alkohol- oder Drogenkonsum. Darum fühlt sich Verliebtsein auch oft an, als wären wir “high”. 

Dopamin ist nicht nur ein Glückshormorn, sondern auch das Hormon des “Haben Wollens”: Wenn wir mit etwas konfrontiert werden, was wir uns sichern wollen, was aber noch außerhalb unserer Reichweite liegt – beispielsweise einem möglichen Partner oder einer möglichen Partnerin – , wird Dopamin ausgeschüttet. Dopamin als “Hormon des Verlangens” verleiht uns den Antrieb, den wir brauchen, um unser Wunschobjekt zu erobern. Das gilt übrigens nicht nur für Bindung und Sex, sondern auch für andere Grundbedürfnisse wie zum Beispiel Nahrung. 

Die erhöhte Dopaminausschüttung in der ersten Verliebtheitsphase soll uns evolutionär gesehen also die Motivation verleihen, unsere:n (potenzielle:n) Partner:in zu erobern, uns fortzupflanzen und Bindung herzustellen. Sex hat evolutionsbiologisch ja auch die Funktion, den oder die Partner:in an sich zu binden. Daher fördert übrigens auch Eifersucht häufig die Leidenschaft: Sobald der oder die Partner:in wieder unsicher erscheint, steigt auch die Lust, da sie uns helfen soll, Commitment zu sichern. 

Dieser evolutionäre Plan beinhaltet jedoch in seiner zweiten Phase, dass irgendwann wieder Ruhe einkehrt: Da wir nicht für unendlich viele Nachkommen sorgen können, muss der Drang zur Fortpflanzung auch irgendwann wieder abflachen. Daher nimmt die Dopaminausschüttung nach ungefähr 9-12 Monaten wieder ab. Stattdessen übernimmt das “Kuschelhormon” Oxytocin das Ruder: Oxytocin stärkt die Bindung und sorgt für ein Gefühl von Nähe, Sicherheit und Stabilität. So wird evolutionstechnisch sichergestellt, dass auch genug Ressourcen zur Versorgung der Nachkommen da sind. 

Evolutionär gesehen gehört es also zu einer gesunden Beziehung dazu, dass der Rausch der Leidenschaft nach einigen Monaten abflacht und sich stattdessen ein ruhiges, sicheres Gefühl von Liebe einstellt. Ganz häufig führt diese Entwicklung jedoch dazu, dass wir unsere Beziehung, unseren Partner oder unsere Partnerin – oder uns selbst – in Frage stellen: “Wieso ist es nicht mehr so aufregend wie am Anfang? Liebt er oder sie mich vielleicht nicht mehr? Will ich eigentlich etwas anderes? Bei anderen Paaren läuft es doch auch gut!”. Diese Zweifel können auf psychologischer Ebene zu einem Teufelskreis führen, durch den sich die Situation zuspitzt.

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Die psychologische Ebene

Eine häufige Beziehungsdynamik ist, dass ein Partner bzw. eine Partnerin mehr Sex möchte als der oder die andere. Das kann daran liegen, dass die Person einen höheren Sexualtrieb hat, körperliche Nähe ihre “love language” ist, und so weiter. Dies führt dazu, dass die andere Person oft ablehnt und sich aus den Augen des Partners oder der Partnerin “rar macht”. Der bzw. die fühlt sich wiederum zurückgewiesen und entwickelt Verlustangst und Unsicherheit. Da Sicherheit und Leidenschaft nunmal Gegenspieler sind, sorgt diese Unsicherheit dazu, dass bei der Person, die eh schon mehr Sex möchte, die Leidenschaft noch stärker angekurbelt wird. Durch die ständigen Versuche fühlt sich der oder die andere dagegen noch sicherer und die Lust sinkt noch mehr in den Keller: Zu erobern gibt es schließlich gar nichts, wenn einem jemand ständig hinterher rennt. So entwickelt sich eine Negativspirale mit immer stärker werdender Unsicherheit und Leidenschaft auf der einen, zunehmender Sicherheit und abnehmender Lust auf der anderen Seite. 

Bei einer solchen Imbalance ist es daher entscheidend, den Teufelskreis zu durchbrechen. Die Person, die sich mehr Sex und Nähe wünscht, sollte die Versuche erstmal einstellen, aufhören zu klammern und zurück in die Autonomie und Eigenständigkeit gehen. Wenn das Gegenüber einen wieder als unabhängige Person wahrnimmt, die auch ihr eigenes Ding macht, wird man direkt wieder begehrenswerter erscheinen.

Weitere Gründe für die Flaute im Bett

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Grundsätzlich gehört es also dazu und ist kein Grund zur Sorge, wenn nach der ersten Verliebtheitsphase die Lust auf Sex erstmal abnimmt. Es gibt neben den hormonellen Umständen aber auch noch weitere Gründe, die zur Sexflaute führen können:

1.

Bindungsangst

Bei Bindungsängstlichen gibt es häufig einen drastischen Abfall in der Leidenschaft, sobald eine Beziehung verbindlich wird. Während die “normale” Abnahme der Leidenschaft am Ende der Verliebtheitsphase eher graduell abnimmt, ist es bei Bindungsängstlichen oft sehr plötzlich, sobald sich das Gefühl von Sicherheit und Verbindlichkeit einstellt. Zudem besteht bei Bindungsangst ein genereller Rückzug, der sich nicht nur auf Sex bezieht: Zum Beispiel meldet man sich weniger, ist weniger verlässlich, möchte auch sonst keine Nähe, und so weiter. Wenn Bindungsangst hinter der Sexflaute steckt, muss der oder die bindungsängstliche Partner:in erst die eigenen Prägungen auflösen bzw. sich zumindest damit auseinandersetzen, bevor sich an der Sexflaute etwas ändern kann. 

2.

Überangepasstheit

Auch Überangepasstheit kann dazu führen, dass die Lust an Sex vergeht. Überangepasste Menschen sind nämlich häufig sehr bemüht, Erwartungen zu erfüllen – selbst solche, die vielleicht nur in ihrem Kopf existieren. So kann es sein, dass überangepasste Personen von sich selbst erwarten, stets sexuell verfügbar zu sein, obwohl sie das gar nicht möchten – und auch wenn der oder die Partner:in das vielleicht gar nicht von ihnen verlangt. Durch diese Erwartungen fühlen sie sich jedoch zum Sex gedrängt, wodurch die Lust schnell vergehen kann. Häufig wird dies auf den oder die Partner:in projiziert: Vielleicht wird dem oder der eine Dominanz unterstellt und man erwartet, dass er oder sie ständig Sex will, obwohl er oder sie dies gar nie so geäußert hat. Dies kann zu einem Widerstand gegen den oder die Partner:in bzw. gegen Sexualität im Allgemeinen führen. Um dies aufzulösen, wäre es wichtig, sich erst mit den eigenen, hinter der Überanpassung stehenden Prägungen auseinanderzusetzen.

3.

Weitere Lebensthemen und Prägungen

Auch andere Lebensthemen können der Leidenschaft im Weg stehen. Das können beispielsweise Selbstzweifel und Versagensängste sein, gepaart zum Beispiel mit der gesellschaftlichen Erwartung, es “im Bett bringen zu müssen” oder immer Sex haben zu wollen. Solche Erwartungen entsprechen toxischen Männlichkeitsvorstellungen und sind leider bei Männern immer noch weit verbreitet. Auch die Angst vor Kontrollverlust kann dazu führen, dass man sich beim Sex nicht gehen lassen kann und Mühe hat, sich auf den oder die Sexualpartner:in einzulassen.

Wer sich fragt, ob es eine alte Prägung ist, die der Leidenschaft im Weg steht, sollte sich fragen, ob das Thema auch in anderen Lebensbereichen auftritt. Wenn Versagensängste beispielsweise auch in anderen Bereichen wie Beruf oder im sozialen Umfeld auftreten, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich um ein allgemeines Lebensthema handelt. Auch dann ist es wichtig, sich erst mit dem Thema und seinen Wurzeln auseinanderzusetzen, statt die Sexflaute als Symptom anzugehen.

4.

Abgrenzungsschwierigkeiten

Auch für Personen, denen es schwer fällt, sich von äußeren Einflüssen abzugrenzen, kann es schwierig sein, im Bett abzuschalten. Das kann zum Beispiel bei Personen mit Hochsensibilität der Fall sein, aber ebenfalls bei Menschen mit hohem Kontrollbedürfnis und generell hoher Ängstlichkeit. Während manche Menschen Sex zum Abschalten nutzen, fällt es diesen Personen eher schwer, beim Sex loszulassen, wenn noch zu viel auf der To-Do-List steht. Hilfreich können da Imaginationsübungen sein: Man kann sich beispielsweise vorstellen, sämtliche ausstehende To-Dos in eine Kiste zu packen und diese wegzusperren – natürlich mit dem Vorsatz, sie später wieder bewusst aufzumachen. So kann es leichter fallen, sich auf den Moment zu konzentrieren und Zukunftssorgen auch in der Zukunft zu lassen.

5.

Traumata und Missbrauchserfahrungen

Auch Traumata und vergangene Missbrauchserfahrungen können die Lust beeinträchtigen. Wenn ein solches Trauma vorliegt, sollte man unbedingt professionelle Hilfe in Form einer Traumatherapie in Anspruch nehmen und dieses erst aufarbeiten.

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Was wir gegen die Sexflaute tun können?

Auch wenn Phasen von Flaute im Bett durchaus dazugehören, gibt es einige Tipps und Tricks, mit denen wir uns das Leben ein bisschen leichter machen, aber auch das Feuer wieder entfachen können:

1.

Druck rausnehmen und die Erwartungen anpassen

Grundsätzlich ist es erstmal ganz wichtig, den Erwartungsdruck rauszunehmen und die Realität zu akzeptieren. Medial und gesellschaftlich wird das Thema Sex häufig sehr hochgehangen, was zur Erwartung führt, dass es bei allen anderen doch ganz anders ist und man selbst falsch ist. Dies entspricht weder der Realität noch spielt es eine Rolle: Häufig fühlen sich Paare auch nicht unglücklich damit, weniger Sex zu haben als zum Beginn. Die negativen Gefühle tauchen oft erst durch die gefühlten Erwartungen auf. Wenn man sich von diesem Druck befreien kann, lebt es sich leichter.

2.

Einfach mal anfangen und den/die Partner:in neu erkunden

Auch beim Sex kann der Appetit erst beim Essen kommen. Es kann also durchaus hilfreich sein, “einfach mal anzufangen”, sich aktiv und bewusst auf den Partner oder die Partnerin einzulassen und ihn oder sie nochmals mit allen Sinnen neu zu erkunden. So kann man den Dingen auf die Sprünge helfen. Wichtig ist selbstverständlich, dass dies im gemeinsamen Einvernehmen geschieht und sich niemand zu irgendetwas gedrängt fühlt.

3.

Sich mit der eigenen Sexualität und den eigenen Fantasien auseinandersetzen

Für ein erfülltes Sexleben ist es essentiell, sich auch unabhängig vom Partner oder der Partnerin mit der eigenen Sexualität und den eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Fantasien auseinanderzusetzen. Dazu gehört einerseits, den Zugang zur eigenen Erotik und Sexualität zu hinterfragen: Gibt es vielleicht Prägungen aus der Erziehung oder Religion, die mir im Weg stehen? Habe ich überhaupt einen guten Zugang zu mir selbst? Bin ich generell in Kontakt mit meinen Wünschen und Bedürfnissen?
Andererseits gehört es auch dazu, die eigene Sexualität unabhängig von dem oder der Partner:in zu erforschen. Das bedeutet zum Beispiel, sich zu fragen, was eigentlich die eigenen, noch so geheimen Fantasien sind, den eigenen Körper bei der Masturbation zu erkunden, und so weiter.

4.

Offene Kommunikation

Wenn man sich über die eigenen sexuellen Bedürfnisse und Wünsche im Klaren ist, ist es auch wichtig, diese dem Partner oder der Partnerin offen zu kommunizieren. Wichtig ist dabei, auf eine wertschätzende Kommunikation und Ich-Botschaften zu achten, statt den Partner oder die Partnerin mit Kritik und Vorwürfen zu konfrontieren. Beispielsweise kann man sagen: “Ich würde xy so gerne mal mit dir ausprobieren”, oder “Ich habe gemerkt, dass mir xy besonders gut gefällt”, statt zu sagen “So wie DU es machst, gefällt es mir nicht”. Darüber hinaus kann beim Sex ja auch vieles über nonverbale Kommunikation gehen: Man kann dem oder der Partner:in auch einfach mal im Eifer des Gefechts zeigen, was einem gefällt.

5.

Vergangene Situationen analysieren

Hilfreich kann es auch sein, sich mit vergangenen gemeinsamen sexuellen Erlebnissen zu beschäftigen und sich zu fragen: “In welchen Momenten oder Situationen hatten wir besonders guten Sex? Wieso war der so gut? Was sind die idealen Umstände für unseren Sex?”

6.

Neues entdecken

Genauso, wie es hilfreich sein kann, sich mit alten “Erfolgen” zu beschäftigen, ist es auch wichtig, Neues zu entdecken. Unbekanntes und Überraschendes ist schließlich leidenschaftsförderlich! Dies kann natürlich sowohl allein als auch mit dem Partner oder der Partnerin geschehen.

7.

Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen

Falls die Sexualität ein bleibendes Problem in der Beziehung ist oder eine ständige Imbalance besteht, kann es sich auch lohnen, eine Paar- bzw. Sexualtherapie in Anspruch zu nehmen. Diese schafft einen Rahmen für eine offene Kommunikation und kann durch neue Lösungsansätze helfen, Ausgeglichenheit in die Situation zu bringen.

Beziehungen sind der Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens. Wünschst du dir ein harmonisches Miteinander, aber gleichzeitig auch, besser für dich und deine Bedürfnisse einzustehen? Dann könnte der Online-Kurs „Beziehungen auf Augenhöhe“ von der Stefanie Stahl Akademie genau das Richtige für dich sein. Lerne auch in schwierigen Situationen, gleichberechtigt zu kommunizieren. Hier findest du weitere Informationen zum Kurs:

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Richtige Entscheidungen treffen – wie weiß ich, was ich tun soll?

Schon ganz früh am Morgen geht es los, – das Entscheiden. „Stehe ich auf oder bleibe ich noch liegen?“ Eine Entscheidung, die viele von uns jeden Morgen zum Verzweifeln bringt. „Das Bett ist doch so gemütlich, aber ich muss eigentlich zur Arbeit.“ Diese und viele andere Entscheidungen müssen täglich, stündlich, wenn nicht sogar noch öfter getroffen werden. Dabei fallen uns manche Abwägungen leichter als andere. Aber wieso fällt es manchen Menschen leichter, sich zu entscheiden? Entscheiden wir eher nach dem Bauch oder nach dem Kopf und was ist besser? Wie treffe ich gute Entscheidungen? Wieso fällt es mir so schwer Entscheidungen zu treffen?

Das Problem mit den Entscheidungen

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Eine Entscheidung ist die bewusste Wahl zwischen zwei oder mehreren möglichen Handlungsoptionen. Das klingt erstmal gar nicht so kompliziert: Wir haben verschiedene Auswahlmöglichkeiten und suchen uns die aus, die am besten für uns passen. Aber ganz so einfach ist es leider nicht. Entscheidungen haben nämlich immer mit einer Unsicherheit zu tun, da wir nicht wissen können, wie unser Leben verlaufen würde, wenn wir uns anders entscheiden würden. Es ist nicht möglich, alle Optionen, alle Vor- und Nachteile abzuwägen oder zu überblicken. Wir können uns zwar ausmalen, welchen Einfluss die eine oder andere Option haben würde, aber wissen können wir es nicht. Allerdings steckt noch mehr dahinter. Denn es fällt manchen Menschen schwerer, sich zu entscheiden als anderen.

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Warum fällt es mir so schwer, mich zu entscheiden?

Unterschiede bei der Art, wie Entscheidungen sich für uns anfühlen bzw. wie wir Entscheidungen treffen, hängen mit unserer Persönlichkeit und unseren Prägungen zusammen. Hier kommt wieder die Bedeutung unseres Epizentrums der Seele zum Vorschein – unseres Selbstwertgefühls. Menschen, die kein gutes Selbstwertgefühl haben, die nicht von sich denken, dass sie grundsätzlich ok sind, wie sie sind, haben große Schwierigkeiten damit, Entscheidungen zu treffen. Für sie bedeutet eine falsche Entscheidung viel mehr als ein eventueller Geldverlust oder die Enttäuschung von Erwartungen. Es bedeutet, dass sie nicht ok sind. Es bedeutet, mal wieder versagt zu haben. So baut sich bei anstehenden Entscheidungen ein großer Druck auf. Dazu kann es kommen, wenn Menschen als Kinder immer wieder kritisiert oder verbessert wurden. Keine Verantwortung übernommen zu haben oder unter Perfektionismus zu leiden, können auch Ursachen für die Schwere der Entscheidungsfindung sein. Aber es liegt nicht nur an uns, sondern auch an den Umständen, unter denen entschieden werden muss. Gibt es zu viele Optionen, aus denen wir auswählen können, fühlen wir uns überfordert und die Entscheidung fällt uns schwer. Das kennen sicher die meisten aus Restaurants mit einer sehr großen Karte. Andersherum führen zu wenige Optionen auch zu Schwierigkeiten, weshalb die goldene Mitte am besten funktioniert. So sind genug Möglichkeiten abgebildet, sodass wir uns mit einem guten Gefühl für eine entscheiden können, aber auch nicht zu viele, um überfordert zu sein.

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Wie treffen wir Entscheidungen?

Lange galt die Theorie der rationalen Entscheidungen, nach der wir bei der Auswahl einer Option den Nutzen für uns maximieren und die Kosten minimieren. Da wir aber kognitiv nicht in der Lage sind, alle Optionen zu überblicken und abzuwägen, wurde diese Theorie von einer anderen ersetzt. Die „Satisfying-Rule“, also die befriedigende Regel, besagt, dass wir uns vor einer Entscheidung überlegen, welche Ansprüche für uns erfüllt werden müssen. Auf Basis dieser wählen wir die Optionen aus, die diese Ansprüche befriedigen und entscheiden dann. Zum Beispiel können wir uns bei der Wohnungssuche nicht alle Berliner Wohnungen angucken, um die perfekte zu finden. Stattdessen bewerben wir uns auf die, die nach unseren Kriterien passen könnten und entscheiden uns zwischen denen. Wobei das Beispiel momentan ein bisschen hinkt, weil man froh sein kann, überhaupt eine zu bekommen, aber das Prinzip ist hoffentlich trotzdem deutlich geworden.

Entscheiden wir wirklich selbst?

Es gibt zahlreiche Verzerrungen, denen unsere Entscheidungen unterliegen. Wir beziehen also in unsere Entscheidungen unbewusst vieles ein, was im Außen passiert, selbst wenn wir das Gefühl haben, die Entscheidung ganz allein getroffen zu haben. Einige dieser Verzerrungen sind die Folgenden:

1 

Ankereffekt

Wir lassen uns durch bestimmte Umgebungsinfos sogenannte „Anker“ beeinflussen, z.B. Wenn ich geplant hatte, nach einer Show 2-3 Euro Trinkgeld zu geben, der*die Künstler:in aber sagt, dass der*die Durchschnittsbesucher:in 12 Euro Trinkgeld gibt, dann wird mein Trinkgeld wahrscheinlich höher ausfallen.

2 

Besitztumseffekt

Wenn wir etwas selbst besitzen, wird es als wertvoller bewertet, z.B. bewerten wir unser eigenes Haus alt wertvoller, auch wenn objektive Zahlen dagegensprechen.

3 

Default-Effekt

Wir bevorzugen voreingestellte Optionen. Zum Beispiel entscheiden sich mehr Leute dazu, ihre Organe zu spenden, wenn sie sich aktiv dagegen und nicht dafür entscheiden müssen.

4 

Eskalierendes Commitment

Wir neigen dazu, einer getroffenen Entscheidung gegenüber loyal zu sein, auch wenn sie zum eigenen Nachteil ist. Zum Beispiel in einer nicht mehr funktionierenden Beziehung bleiben, weil man schon so lange zusammen ist.

5 

Kontrasteffekt

Eine Option wird in Kombination mit einer gegenteiligen Option als intensiver wahrgenommen, z.B. Ich kaufe einen Pullover, der 10€ teurer ist, weil mir gleichzeitig ein Pullover präsentiert wird, der 200€ teurer ist.


Bauch vs. Kopf

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„Bauch sagt zu Kopf ja. Kopf sagt zu Bauch nein.“ Wie Mark Foster so passend singt, sind sich unser Bauch und Kopf bei Entscheidungen oft uneinig. Aber auf was sollten wir dann hören? Leider ist das nicht so einfach zu beantworten. Es gibt Entscheidungen, bei denen das eine und solche, bei denen das andere besser ist. Generell bezieht sich unser Bauchgefühl eher auf alte Prägungen. Als Spiegel unserer Erfahrungen bedeutet das Gefühl im Bauch letztendlich, dass wir eine ähnliche Situation schon mal hatten, die gut ausgegangen ist oder eben nicht. Das bedeutet aber nicht, dass es dieses Mal genauso sein muss. Unser Kopf ist da etwas rationaler und bezieht auf gedanklicher Ebene ein, was für oder gegen bestimmte Optionen spricht. Die Lösung liegt, wie so oft, irgendwo in der Mitte. Zwar gibt es Fälle bei denen eher nach dem Kopf entschieden werden sollte, wie bei dem Kauf eines Autos, während bei der Liebe der Bauch eine sehr wichtige Rolle spielt, aber: Wir sollten auf beides hören, beides einbeziehen und können zusätzlich noch bestimmte Methoden verwenden, die uns helfen können. Welche das sind, haben wir für euch zusammengetragen.

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Wie kann ich besser Entscheidungen treffen?

Durch verschiedene Methoden können wir uns Entscheidungen erleichtern. Dafür müssen nicht alle angewendet werden. Jede Person kann für sich ausprobieren, was für sie gut funktioniert. Zuerst ist es hilfreich, sich die oben beschriebenen Entscheidungsverzerrungen vor Augen zu führen. Sind diese uns bewusst, können wir uns auch aktiv dagegen wehren, ihnen zu verfallen und die für uns beste Option auswählen. Um nicht durch zu viele Optionen überfordert zu sein, können wir diese vor der Entscheidung bewusst reduzieren. Dafür können wir die Optionen aussortieren, die wir am ehesten ausschließen. Wir können auch Beratung heranziehen, am besten von zwei ausgewählten Personen, wobei die eine Person einem eher vertraut- und die andere eine konträre Sichtweise auf das Thema haben sollte. So haben wir zwei verschiedene Meinungen von außen und können für uns abwägen. Natürlich kann auch die klassische Pro- und Kontra-Liste genutzt werden.

Wem das zu langweilig ist, der*die kann die Argumente zusätzlich noch mit Wichtigkeitsfaktoren bewerten. Viele Entscheidungen müssen nicht sofort getroffen werden. Vor allem bei wichtigen, vielleicht sogar lebensverändernden Entscheidungen können wir uns Zeit lassen und auch noch ein oder mehrmals darüber schlafen. Fangen wir aber an zu Grübeln und die Gedanken drehen sich nur noch im Kreis, sollten wir nicht länger warten und die Entscheidung treffen. Mit der Schreibchen-Methode können große Entscheidungen in viele kleine unterteilt werden. Statt sich zu fragen, was man werden möchte, kann man sich zum Beispiel fragen, ob man intellektuell oder handwerklich arbeiten will. Klassisch kann auch der gute alte Münzwurf helfen. Teilen wir eine Seite der Münze einer Alternative zu und werfen sie, bemerken wir oft, welche Option wir uns insgeheim wünschen, noch bevor die Münze den Boden berührt.

Um Entscheidungen allgemein treffen zu können, ist es wichtig, mit sich selbst im Kontakt zu sein. Das ist bei vielen Schwierigkeiten des Lebens der Schlüssel. Wissen wir, was wir wollen und wofür wir stehen, können wir das auch kommunizieren und danach handeln. Abschließend lässt sich also sagen, wir müssen uns selbst kennen und für uns einstehen, um gute Entscheidungen für uns selbst zu treffen und bestimmte Methoden können uns dabei helfen.

Wenn du deine persönliche Entwicklung noch intensiver fördern und hinderliche Glaubenssätze auflösen möchtest, dann könnte dir der Kurs „Das Kind in dir muss Heimat finden“ der Stefanie Stahl Akademie helfen. Weitere Informationen findest du hier:

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Negative Gefühle – berechtigt oder belastend?

Wut, Trauer, Angst, Scham, Schuld, Ekel, Eifersucht – wir allen kennen diese Gefühle, und zwar in verschiedensten Intensitäten. Negative Gefühle sind total normal und es ist auch ganz wichtig, sie zuzulassen. Aber was, wenn wir tagelang verzweifelt sind, weil unsere Freundin einen blöden Kommentar über unsere neue Frisur gemacht hat, oder wir vor einem Date nächtelang nicht schlafen können, weil wir Angst haben, uns zu blamieren? Sollten wir auch diesen Gefühlen glauben oder spielen sie uns eigentlich einen Streich? Und wie können wir es schaffen, negative Gefühle auch wieder loszulassen?

Angemessene und unangemessene Emotionen

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Wut, Trauer, Angst, Scham, Schuld, Ekel, Eifersucht: Negative Gefühle können sich ganz schrecklich anfühlen. Aber auch wenn wir sie am liebsten komplett vermeiden würden, sind sie ganz wichtig für uns: Sie geben uns nämlich ein Warnsignal, wenn eines unserer Grundbedürfnisse bedroht oder nicht erfüllt ist. Sie schützen uns also vor Gefahren und motivieren uns, etwas zu verändern, wenn wir uns in einer Situation befinden, die nicht gut für uns ist. Negative Emotionen sind also grundsätzlich genauso wichtig wie positive, und wir sollten sie daher auch genauso zulassen und spüren.

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Trotzdem gibt es Situationen, in denen wir unsere negativen Gefühle nicht ohne Wenn und Aber hinnehmen sollten – und wo sie uns vielleicht sogar an der Nase herumführen. In der Psychologie spricht man diesbezüglich von adaptiven (angemessenen) und maladaptiven (unangemessenen) Emotionen. Bei den adaptiven Emotionen passt unsere emotionale Reaktion von ihrer Art und Intensität zum Auslöser. Wenn wir von unserem Partner oder unserer Partnerin betrogen werden, ist es absolut angemessen, wenn wir darüber erstmal wütend und traurig sind. Diese Emotionen zuzulassen hilft uns dann auch dabei, das Geschehene zu verarbeiten. Bei maladaptiven Emotionen fehlt dieser klare Zusammenhang zwischen Ursache und Reaktion. Das äußert sich in der Regel in überschießenden emotionalen Reaktionen auf ein Ereignis, das objektiv gesehen gar nicht so wild war. Eine maladaptive Emotion wäre zum Beispiel, wenn wir einen riesigen Wutanfall kriegen, weil wir uns beim Essen versehentlich mit Tomatensauce bekleckert haben. Aber was steckt eigentlich hinter diesen übermäßigen Emotionen?

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Introjektion und Projektion

Hinter den maladaptiven Emotionen stecken ganz oft sogenannte Introjektionen und Projektionen. Diese Begriffe kommen ursprünglich aus der Psychoanalyse, werden heute aber in vielen verschiedenen Therapieansätzen verwendet. 

Von einer Introjektion spricht man, wenn äußere Realitäten – zum Beispiel Annahmen, Werte oder Normen, die man von den Eltern oder in der Schule gelernt hat – verinnerlicht werden, so dass sie Teil des “Ichs” werden. Das klingt erstmal kompliziert, meint aber nur, dass wir etwas zu einem Teil von uns machen, was eigentlich gar nicht zu uns gehört. Eine Introjektion kann zum Beispiel sein, wenn wir unsere politische Anschauung von unseren Eltern übernehmen, ohne sie groß zu überdenken. Die verinnerlichten Annahmen nennt man dann “Introjekt”. Das Schattenkind – also die negativen Prägungen unseres inneren Kindes – und seine Glaubenssätze sind ebenfalls klassische Introjektionen. Wenn uns beispielsweise von unserer Mutter früher immer gesagt wurde, dass wir ein Nichtsnutz sind und wir daher heute den Glaubenssatz verinnerlicht haben, dass wir zu nichts gut sind, handelt es sich bei dieser Annahme um ein Introjekt. 

Diese Introjektionen können wiederum oft zu Projektionen führen. Projektion bedeutet, dass wir etwas, was eigentlich zu uns selbst gehört, auf andere übertragen. Man unterstellt dem Gegenüber also gewisse Emotionen, Meinungen oder Verhaltensweisen, die aber eigentlich aus dem eigenen Selbst stammen. Die Projektion ist somit sozusagen das Gegenstück zur Introjektion.. Ein klassisches Beispiel für eine Projektion wäre, wenn eine Person, die sich aufgrund ihrer Schattenkind-Prägung leicht andern unterlegen fühlt, extrem verletzt auf die kleinste Kritik reagiert und ihrem Gegenüber sofort Dominanz und Aggression unterstellt. Statt zu sehen,  dass sie selbst sensibel auf kritische Anmerkungen reagiert (also ein Unterlegenheitsgefühl introjiziert hat), projiziert sie dies auf die andere Person und unterstellt ihr, dass die sich ihr überlegen fühlt und einfach total arrogant ist. Wir reagieren übrigens häufig deshalb mit Projektion auf die Introjektion, da Projektion ein Schutzmechanismus für die durch die Introjektion verinnerlichten Annahmen sein kann. Projektionen dienen also oft der Aufrechterhaltung des Selbstbilds: Wenn die anderen schuld sind, kann ich ja schließlich nicht ich das Problem sein. Das entlastet das Selbstwertgefühl.

Aber wieso sind die Introjektionen und Projektionen überhaupt so wichtig?

Ganz häufig lösen die Annahmen, die Introjektionen und Projektionen zugrunde liegen, sehr starke Emotionen in uns aus. Diese sind einerseits besonders schmerzhaft, da sie aus alten Wunden (und nicht aus der aktuellen Situation) herrühren. Andererseits werden wir durch die Introjektionen und Projektionen auch oft auf die falsche Fährte gelockt, wenn wir ein negatives Gefühl auflösen wollen: Wenn wir zum Beispiel aufgrund unserer Erziehung den Glaubenssatz verinnerlicht (also introjiziert) haben, dass wir nicht gut genug sind, werden wir ständig versuchen, “besser” zu werden – also noch mehr zu leisten, attraktiver und witziger zu sein, und, und, und –, um dieses negative Gefühl aufzulösen. Das wird aber nicht funktionieren, da der Glaubenssatz (und damit einhergehend das negative Gefühl) ja eben nicht zu uns, sondern zu unseren Eltern gehört. Nur wenn wir uns dessen bewusst werden und die Verantwortung unseren Eltern zurückgeben, können wir auch das negative Gefühl auflösen. Das Gleiche gilt für die Projektion: Auch hier können wir ein negatives Gefühl nur auflösen, wenn die Verantwortlichkeit am richtigen Ort liegt – diesmal gehört sie aber zu uns, und nicht zu unserem Gegenüber.  Wenn wir uns vorgaukeln, dass ein Problem eigentlich bei unserem Gegenüber liegt und unseren eigenen Anteil nicht sehen, sind Konflikte oft sehr schwer aufzulösen. 
Uns unserer Introjektionen und Projektionen bewusst zu werden, ist also ganz zentral, um herauszufinden, welche negativen Emotionen uns wichtige Hinweise zum Status unserer Bedürfnisse geben und welche nur von willkürlichen Prägungen konstruiert werden – und wie wir diese auflösen können. Aber wie können wir denn nun konkret feststellen, ob wir gerade von einer alten Prägung geleitet werden, oder ob wir uns auf unser Gefühl verlassen dürfen?

Ist das grade eine Projektion oder passt es mir wirklich nicht?

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Tatsächlich kann es oft schwierig sein, zu unterscheiden, ob wir gerade von unserem Schattenkind gesteuert werden, oder ob es eine objektive Ursache gibt, zu welcher unsere Emotion in einem angemessenen Verhältnis steht. Es gibt übrigens auch Mischformen – oftmals werden Emotionen, die einen objektiven Auslöser haben, durch die Schattenkind-Prägungen einfach unverhältnismäßig verstärkt.

Das Wichtigste ist also, dass wir uns unserer Introjektionen bewusst werden. Wir müssen also erstmal herausfinden, welche negativen inneren Annahmen und Glaubenssätze aus der Kindheit auch heute noch häufig aktiviert werden. Man kann sich das vorstellen, wie eine Brille, durch die man die heutige Realität sieht: Nur wenn wir verstehen, wie sie geformt und gefärbt ist, können wir auch unseren heutigen Blick auf die Welt richtig interpretieren. 

Um herauszufinden, welche negativen Glaubenssätze bei uns vorherrschen, kann es helfen, an vergangene Momente zurückdenken, wo wir ganz starke negative Emotionen gespürt haben. Vielleicht gibt es da ja auch solche, wo wir eigentlich selbst nicht ganz verstanden haben, wieso wir da so heftig reagiert haben. Das ist oft ein guter Hinweis darauf, dass das Gefühl aus einer alten Prägung – einer Introjektion – hergerührt hat. Wichtig ist, sich die Situation genau ins Gedächtnis zu rufen und dabei in sich hineinzuspüren. Welche Gefühle waren aktiviert? Welche Annahmen stehen dahinter? Kommen mir diese Gefühle und Annahmen vielleicht aus meiner Kindheit bekannt vor – habe ich diese vielleicht schon mal von meinen Eltern gehört?

Wenn man sich in einer konkreten Situation fragt, ob dies ein angemessenes Gefühl ist oder ob das Schattenkind am Werk ist, kann es auch helfen, eine Außenperspektive einzunehmen. Wir können uns zum Beispiel als unbeteiligte Richterin oder unbeteiligten Richter sehen, der oder dem dieser Fall zur Beurteilung vorgelegt wird. Diese rationale Außenperspektive ist deshalb so wichtig, weil in der Emotion zu sein ja auch immer bedeutet, dass man stark mit dem Gefühl identifiziert ist. Wenn man sich gerade im Moment total wertlos fühlt, ist die introjizierte Annahme für einen also gerade Realität. Wenn man jedoch aus dem Gefühl rausgeht und von außen auf die Situation guckt, gelingt es in der Regel ganz gut, zu unterscheiden, was zu einem selbst und was zur auslösenden Situation gehört.

Indem wir uns also unserer persönlichen Projektions-Brille bewusst werden, können wir unsere maladaptiven Emotionen also besser identifizieren und mit ihnen umgehen. Aber was, wenn es uns trotz allem total schwer fällt, einfach mal gut sein zu lassen und unsere negativen Emotionen loszulassen?

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Wie kann ich meine negativen Emotionen loslassen?

Negative Emotionen können uns total einnehmen. Und obwohl sie sich oft ganz furchtbar anfühlen, fällt es uns manchmal schwer, sie loszulassen. Häufig liegt das daran, dass wir – meist unbewusst – einen Vorteil darin sehen, an der Emotion festzuhalten. Man stelle sich zum Beispiel eine Beziehung vor, in der man eigentlich total schlecht behandelt wird. Diese Beziehung gibt uns zwar ein wahnsinnig schlechtes Gefühl: Wir fühlen uns nicht gut genug, klein und wertlos und können nichts richtig machen, egal was wir tun. Wenn wir diese Unzulänglichkeitsgefühle jedoch in die Wüste schicken und uns eingestehen würden, dass wir es nicht verdient haben, so behandelt zu werden, würde das konsequenterweise auch bedeuten, dass wir uns trennen müssen.

Wir haben also die Wahl, entweder die negativen Gefühle auszuhalten oder die Beziehung zu beenden. Gerade für Menschen mit Verlustangst scheint die erste Option dann oft wie das geringere Übel. Auch andere Motive wie zum Beispiel die Wahrung des eigenen Selbstbilds oder Loyalitätskonflikt in Bezug auf die eigenen Eltern können uns daran hindern, unsere Emotionen wirklich aufzulösen. Wenn wir also merken, dass wir es nicht schaffen, eine eigentlich unangenehme Emotion loszulassen, sollten wir genauer hingucken und uns  selbstkritisch hinterfragen.

Umgekehrt gibt es jedoch auch Fälle, in denen negative Emotionen zu schnell losgelassen werden. Viele von uns haben gelernt, dass es wichtig ist, stets sofort zu verzeihen, wenn uns Unrecht getan wurde. Dieser Anspruch kann aber auch dazu führen, dass – eigentlich berechtigte! – Emotionen wie Wut und Frustration unterdrückt werden, obwohl es für die Verarbeitung eigentlich ganz wichtig wäre, sie zu spüren. Ein klassisches Beispiel ist der eigene Anspruch, den eigenen Eltern für das Unrecht, das man von ihnen in der Kindheit erfahren hat, zu verzeihen.

Auch wenn der Gedanke dahinter natürlich schön ist, reproduzieren wir damit häufig dieselben Muster, die uns eigentlich das Leben schwer machen: Wir übernehmen die Verantwortung dafür, dass unsere Beziehung zu unseren Eltern gelingt, statt für unsere eigenen Bedürfnisse einzustehen und Verantwortung zurückzugeben. Oft zeigt sich auch, dass das Verzeihen gar nicht mehr so eine große Rolle spielt, wenn die negativen Emotionen auch gespürt und verarbeitet wurden. Auch hier ist es also ganz wichtig zu merken, ob die Emotion dem Auslöser angemessen ist oder nicht, oder ob sie uns Hinweise darauf geben kann, was wir eigentlich brauchen.

Fazit

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Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass negative Emotionen ganz wichtig sind und Warnsignale dafür sein können, wenn die aktuelle Situation nicht dem entspricht, was wir brauchen. Diese Emotionen zu spüren und nicht zu verdrängen, ist ganz wichtig für unsere psychische und körperliche Gesundheit. Trotzdem sollten wir nicht immer glauben, was wir fühlen – einige Emotionen gehen nämlich nicht auf objektive Ursachen zurück, sondern sind vielmehr alte Wunden aus der Kindheit, die wir auf die heutige Realität projizieren. Diese zu erkennen ist wichtig, da sie oftmals ganz besonders schmerzhaft sind, uns aber auch beim Führen glücklicher Beziehungen im Weg stehen können. Dazu sollten wir uns mit unseren introjizierten Glaubenssätzen auseinandersetzen und uns der “Brille” unserer alten Prägungen bewusst werden, durch die wir die heutige Realität wahrnehmen. Das Ziel ist also, unser Gespür dafür zu schärfen, wann uns unsere negativen Emotionen weiterhelfen – und wir sie auch selbstfürsorglich annehmen und zulassen sollten –, und wann wir ihnen dagegen nicht alles glauben sollten. 

Wenn du deine persönliche Entwicklung noch intensiver fördern und hinderliche Glaubenssätze auflösen möchtest, dann könnte dir der Kurs „Das Kind in dir muss Heimat finden“ der Stefanie Stahl Akademie helfen. Weitere Informationen findest du hier:

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Bindungsangst – was ist das und wie komme ich da raus?

“Man darf ja wohl auch noch was alleine machen”, “Man muss ja nicht allem immer gleich ein Label aufdrücken” und “Man muss doch nicht alles immer vorausplanen – sei doch mal ein bisschen spontan”. Wenn dir diese Sätze bekannt vorkommen, kann es gut sein, dass du schon Erfahrung mit bindungsängstlichen Menschen gemacht hast – oder vielleicht sogar selbst eine Tendenz zur Bindungsangst hast. Was Bindungsangst aber überhaupt ist und wie du sie überwinden kannst, erfährst du hier.

Bindungsangst – was ist das eigentlich?

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Unter Bindungsangst versteht man die Angst, nahe und verbindliche Beziehungen einzugehen bzw. sich richtig auf sie einzulassen. Diese Angst ist sehr häufig – Expert:innen schätzen, dass ungefähr jede:r fünfte unter Bindungsangst leidet.

Bindungsängstliche Personen haben häufig keine oder ständig wechselnde Beziehungen – und wenn sie mal eine Beziehung eingehen, versuchen sie konstant, ihr Gegenüber auf Distanz zu halten. Sobald Nähe und Verbindlichkeit aufkommen, fühlen sich Bindungsängstliche eingeengt, unwohl oder gar panisch. Sie haben häufig einen starken Freiheitsdrang, legen sich ungern fest und machen am liebsten alles spontan. In einer Beziehung setzen sie oft rigorose Grenzen und sind die Alleinherrscher:innen über Nähe und Distanz: Nur sie bestimmen, wie nahe ihnen ihr Partner oder ihre Partnerin kommen darf. 

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In der Dating- oder Anfangsphase einer Beziehung sieht das oft ganz anders aus: Bindungsängstliche Personen umwerben ihre potenziellen zukünftigen Partner:innen oft leidenschaftlich und investieren viel Mühe, Zeit und Zuneigung. Sobald die “Jagd” aber vorbei ist und die Beziehung sicher und verbindlich wird, gehen sie auf Distanz und verlieren das Interesse. Erwartungen lösen in ihnen enorme Druckgefühle aus, weshalb Flucht oft die einzige Option zu sein scheint. Ihr Gegenüber bleibt oft ratlos zurück. 

Wenn dir diese “Symptome” bekannt vorkommen, kann es gut sein, dass du selbst eine Tendenz zur Bindungsangst hast. Aber was steckt da eigentlich dahinter und woher kommt diese Angst?

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Was steckt hinter Bindungsangst?

Bindungsangst geht auf einen Konflikt zwischen zwei unserer elementaren Grundbedürfnisse zurück: Bindung und Autonomie.  Einerseits wollen wir nämlich alle einfach nur dazugehören, nahe soziale Beziehungen führen und uns emotional mit anderen Menschen verbunden fühlen – andererseits streben wir aber auch danach, frei und individuell zu sein und unser Leben nach unseren eigenen Vorstellungen zu gestalten, ohne uns von äußeren Vorgaben beeinflussen zu lassen. 

Diese beiden Bedürfnisse sind zwar beide grundlegend für uns, stehen aber miteinander im Widerspruch: Wenn wir nämlich enge Beziehungen eingehen, geben wir damit auch ein Stück Kontrolle darüber auf, was uns in unserem Leben so passiert. Die beiden Bedürfnisse erfordern zudem auch unterschiedliche Fähigkeiten: Für die Befriedigung des Bindungsbedürfnisses ist es wichtig, dass wir uns zu einer anderen Person hin ausrichten, empathisch sind und auch mal die Perspektive des oder der anderen einnehmen. Für das Autonomiebedürfnis dagegen müssen wir uns auf uns selbst konzentrieren, für unsere eigenen Bedürfnisse einstehen oder diese sogar anderen gegenüber verteidigen.

Im Idealfall herrscht zwischen diesen Bedürfnissen eine gewisse Balance  – wir verfügen über beide Fähigkeiten und können einigermaßen flexibel zwischen diesen “Modi” hin- und herwechseln. Bei Bindungsangst herrscht jedoch eine Imbalance dieser Bedürfnisse zugunsten des Autonomiebedürfnisses. Bindungsängstliche sind stark auf ihr Autonomiebedürfnis fixiert und stellen ihr Bindungsbedürfnis hintan. Für sie fühlt es sich an wie ein “entweder-oder”: “Entweder ich bin in einer Beziehung, oder ich bin autonom und frei”. Das Gegenstück dazu ist übrigens Verlustangst, bei der eine Imbalance zugunsten des Bindungsbedürfnisses besteht. 

Bindungsangst entsteht in Folge einer Kindheitsprägung. In der Regel haben Bindungsängstliche als Kind die Erfahrung gemacht, dass sie nicht liebenswert sind, wie sie sind. Sie haben gelernt, dass sie sich anpassen bzw. auf eine bestimmte Art und Weise verhalten müssen, um Zuneigung und/oder Anerkennung zu bekommen. Da Kinder nunmal abhängig von ihren Eltern sind und unbedingt Zuneigung von ihnen erfahren wollen, passen sie sich oft so an, dass sie den Erwartungen ihrer Eltern genügen. Dadurch entsteht die Annahme, dass man sich verstellen muss, um geliebt zu werden – und dass man nur man selbst sein kann, wenn man alleine ist. Während sich Verlustängstliche diesem Anpassungsdruck beugen, um die Bindung um jeden Preis zu schützen, gehen Bindungsängstliche in den Widerstand: Um die eigene Autonomie zu schützen, distanzieren sie sich von der Beziehung – auch wenn sie sich oftmals eigentlich eine verlässliche, nahe Bindung wünschen würden. 

Interessant ist, dass häufig Menschen mit gegensätzlichen Imbalancen – also eine Person mit verlustängstlichen Tendenz und eine Person mit einer Tendenz zur Bindungsangst – zusammenfinden. Dadurch entsteht oft ein Teufelskreis: Das Distanzverhalten der bindungsängstlichen Person führt dazu, dass beim Gegenüber die Verlustangst aktiviert wird und er oder sie ins Klammern kommt. Davon fühlt sich der oder die Bindungsängstliche noch mehr eingeengt – und so weiter.

11 Schritte, wie du deine Bindungsangst überwinden kannst

1

Werde dir deiner Angst bewusst

Erstmal ist es ganz wichtig, dass du dir bewusst wirst, dass Bindungsangst in deinem Leben eine Rolle spielt. Mach dir bewusst, wo dir deine Angst im Weg steht: Sie hindert dich nämlich daran, eine gesunde Balance zwischen deinem Autonomie- und deinem Bindungsbedürfnis zu entwickeln und nahe erfüllende Beziehungen zu führen. Dieses Bewusstsein macht es dir möglich, eine Veränderungsmotivation zu entwickeln und dich deiner Angst zu stellen. 

2

Reflektiere deine Vergangenheit und lerne dein Schattenkind kennen

Um deine Angst aufzulösen, musst du erst verstehen, woher sie kommt. Dazu ist es ganz wichtig, dass du deinen eigenen Kindheitsprägungen auf die Schliche kommst und dein Schattenkind kennenlernst. Man kann sich das vorstellen wie eine Brille, durch die man sein erwachsenes Leben sieht: Je nachdem, wie die Brillengläser in der Kindheit eingestellt und gefärbt wurden, sehen und interpretieren wir unsere erwachsene Realität etwas anders. Die Kindheitsprägungen bestimmen in der Regel ganz wesentlich, welche Annahmen wir zu Beziehungen verinnerlicht haben. 

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Um dein Schattenkind kennenzulernen, hilft es, dir die folgenden Fragen zu stellen:

  • Wie war meine Kindheit? Wie sah die Beziehung zu meinen Eltern aus? Welche Gefühle herrschen vor, wenn ich an meine Kindheit und meine Eltern denke?
  • Welche Glaubenssätze wurden mir vermittelt, gerade in Bezug auf Beziehungen? Bei Bindungsängstlichen sind das häufig Sätze wie “ich muss mich anpassen, um geliebt zu werden”, “am Ende werde ich sowieso verlassen”, oder “Bindung bedeutet Gewalt oder Vernachlässigung und ist gefährlich”.
3

Reflektiere deine Gegenwart

Jetzt, wo du die Einstellung und Färbung deiner “Brillengläser” kennst, kannst du reflektieren, wie sie deinen Blick auf deine heutige Gegenwart prägt. 

Frage dich zum Beispiel:

  • Welche Glaubenssätze habe ich heute noch?
  • Wo projiziere ich die Prägungen meiner Kindheit auf die Gegenwart? Welche Glaubenssätze von damals prägen meine heutigen Beziehungen? Bei Bindungsängstlichen sind dies oft Sätze wie “ich darf in einer Beziehung nicht “ich” sein”, “Beziehung bedeutet Abhängigkeit, und Abhängigkeit bedeutet, ausgeliefert zu sein”, “Beziehung bedeutet, dass ich meine Freiheit aufgeben muss”, “Beziehung bedeutet, dass ich meine Bedürfnisse zurückstellen muss”, etc.
  • Welche Schutzstrategien wende ich heute an, um mit diesen Glaubenssätzen umzugehen? Bei Bindungsängstlichen ist diese Strategie häufig, verbindliche Beziehungen zu vermeiden bzw. ihre Beziehungspartner:innen auf Distanz zu halten.
  • Welche Vorteile sehe ich an meinen jetzigen Schutzstrategien und was sind vielleicht Gründe, weshalb ich an ihnen festhalte? Beispiele dafür könnten sein, dass man durch das Verhalten die Kontrolle behält, vermeiden kann, verletzt zu werden oder seine eigenen Bedürfnisse schützen kann.

Hierzu gehört auch, die Vergangenheit klar von der Gegenwart zu trennen. Mach dir bewusst, dass deine kindliche Realität nicht deiner erwachsenen entspricht. Mach dir klar, dass du heute nie mehr wirklich abhängig bist (wie du es von deinen Eltern warst), sondern dass du heute ein erwachsener Mensch bist, der das Recht hat, er selbst zu sein und für seine Bedürfnisse einzustehen. 

4

Entwickle Verständnis für dein Schattenkind

Wichtig ist auch, deinem Schattenkind und deinen internalisierten Glaubenssätzen empathisch zu begegnen. Mach dir bewusst, dass deine Glaubenssätze nichts über dich und deinen Wert aussagen, sondern ein willkürliches Produkt der Bedingungen sind, in denen du aufgewachsen bist. Wichtig ist auch, sich klar zu machen, dass die Glaubenssätze eigentlich gar nicht zum heutigen erwachsenen Ich gehören, sondern zu den eigenen Eltern und Vergangenheit.

5

Setze dir klare Ziele

Um etwas verändern zu können, brauchst du neben dem Problembewusstsein zwei Dinge: Eine Veränderungsmotivation und konkrete Ziele. Frage dich also, wo dir deine Angst im Weg steht und wieso du sie überhaupt angehen möchtest. Frage dich, was du dir in Zukunft in Bezug auf Beziehungen wünschst – und zwar in Bezug auf dich, nicht deine:n potenzielle:n Partner:in.

6

Entwickle neue Glaubenssätze

In diesem Schritt ist es wichtig, deinen alten Glaubenssätzen neue, positive Sätze entgegenzusetzen und ein “Gegenprogramm” zu deinem Schattenkind zu entwickeln. Diese Sätze sollten konstruktiv sein und sich auf deine heutige Gegenwart beziehen, nicht auf die Prägungen deiner Vergangenheit. Glaubenssätze für Bindungsängstliche können zum Beispiel sein: “Ich darf mich abgrenzen”, “Ich kann auch in einer Beziehung frei sein”, “Ich bin liebenswert, wie ich bin” oder “Ich muss mich nicht verstellen, um geliebt zu werden”.

7

Verinnerliche deine neuen Glaubenssätze auch auf der emotionalen Ebene

Damit du dein neues Programm auch wirklich verinnerlichen kannst, müssen die Glaubenssätze auch auf der emotionalen Ebene ankommen. Um sie in deinem Gefühl zu verankern, ist es wichtig, dass du dir die neuen Glaubenssätze immer wieder ins Bewusstsein rufst und dabei genau in dich hineinspürst. Versuche, die Verbindung zwischen dem Satz und dem Gefühl so oft wie möglich herzustellen – so geht es irgendwann ganz automatisch. Dazu gehört auch, dich zu fragen, welche (emotionalen) Vorteile es vielleicht nach wie vor für dich hat, an den alten Glaubenssätzen festzuhalten – zum Beispiel, dass du keine Angst haben musst, verletzt zu werden, wenn du dich nicht auf Beziehungen einlässt.

8

Verändere deine Muster – Ertappen und Umschalten

Nun gilt es, Bewusstsein für das Auftauchen deines Schattenkinds zu entwickeln. Wichtig ist also, dass du dir bewusst wirst, in welchen Situationen deine alten Glaubenssätze und Schutzstrategien zum Vorschein kommen. Ertappe also dein Schattenkind – und versuche dann, in dein erwachsenes Ich umzuschalten. Dies hilft, einen Schritt zurückzutreten und die Brille der eigenen Prägung wieder bewusst wahrzunehmen. Das Umschalten kann in akuten Situationen erst sehr schwer fallen – schließlich sind bei den alten Glaubenssätzen in der Regel sehr starke Emotionen im Spiel. Es kann helfen, erst retrospektiv Situationen zu analysieren, in denen dein Schattenkind das Zepter übernommen hat. Mit der Zeit wird es dir immer leichter fallen, es auch in akuten Situationen zu ertappen und in das erwachsene Ich umzuschalten.

9

Übe – immer und immer wieder!

Muster sind hartnäckig. Deine alten Glaubenssätze hatten schließlich dein ganzes bisheriges Leben Zeit, sich in dir einzuschleifen. Mit deinen neuen Glaubenssätzen muss das Gehirn nun erst neue Verknüpfungen herstellen – und das braucht Zeit und ganz viel Wiederholung. Es ist also ganz normal, wenn das Umschalten nicht sofort klappt. Sei also geduldig mit dir und gib deinem Gehirn die Möglichkeit, neue Wege zu bahnen, indem du dein neues Programm immer wieder abrufst.

10

Verkürze die “Screentime” deines Schattenkinds

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Wenn du es im allgemeinen gut schaffst, dein Schattenkind zu ertappen und umzuschalten, gilt es nun, die “Screentime” deines Schattenkinds zu minimieren. Das Ziel sollte nicht sein, das Schattenkind komplett auszusperren, sondern es immer schneller zu bemerken, umzuschalten und dir zunehmend mehr Zeit für dein Sonnenkind und dein erwachsenes Ich zu nehmen. Mach dir bewusst, dass du es durch zunehmendes Üben nun immer schneller aus deinem Schattenkind heraus schaffst und deine neuen Gehirnverknüpfungen immer schneller werden. Das ist eine Wahnsinnsleistung!

11

Bleib dran!

Auch wenn du dich in deiner Beziehungsangst schon viel weiterentwickelt hast, gibt es immer mehr zu reflektieren – es ist ein stetiger Kreislauf. Wichtig ist also, dass du dir deine Fortschritte bewusst machst, aber auch, dass du stetig am Ball bleibst. Mach es also zu einem kleinen Ritual, dich regelmäßig zu fragen, was deine aktuellen Glaubenssätze in Bezug auf deine Beziehungen sind, von welchen Gefühlen diese begleitet werden und wie sie sich auf dein Verhalten auswirken. So kannst du mit deinem Schattenkind in gutem Kontakt bleiben und die Brille deiner Prägungen bewusst wahrnehmen.

Fällt es dir schwer Beziehungen einzugehen oder dich so richtig auf andere einzulassen? Bindungsangst ist ein weit verbreitetes Phänomen, das sich durch übermäßige Anpassung oder sehr freiheitsliebendes Verhalten äußern kann. Wenn du dich in diesen Worten wiederfindest und daran arbeiten möchtest, könnte der Kurs „Bindungsangst überwinden“ der Stefanie Stahl Akademie etwas für dich sein. Schau doch mal vorbei!

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Selbstmitgefühl lernen – warum dadurch das Leben schöner wird

„Ich bin so dumm!“ „Nie kriege ich etwas hin.“ „Wieso bin ich immer so?“ 
Das sind Sätze, die vielen von uns bekannt vorkommen. Dagegen scheinen Gedanken, wie „Das habe ich richtig gut gemacht!“, eher eine Seltenheit zu sein. Seien wir mal ehrlich – irgendwie fühlt es sich komisch an, sich selbst zu loben. Es wundert also nicht, dass Redewendungen, die mit Lob und uns selbst zu tun haben, häufig nur in eine Richtung gehen: „Eigenlob stinkt.“ „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“ „Hochmuth kommt vor dem Fall.“

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Liest man sich diese Sprüche durch, erscheint es fast so, als wäre es beschämend, sich selbst etwas Nettes zu sagen. Es ist also kein Wunder, dass wir eher dazu neigen, gemein zu uns zu sein. Diese Vorstellungen sind aber ziemlich veraltet. Heute wissen wir, dass es sehr heilsam und gut für unsere Psyche sein kann, uns selbst gut zuzusprechen, uns Komplimente zu machen und für uns einzustehen. Diese Dinge lassen sich unter Selbstmitgefühl zusammenfassen. Was das genau bedeutet, was es mit uns macht und wie wir lernen können, mehr Selbstmitgefühl zu haben, lest ihr hier.

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Was ist Selbstmitgefühl?

Wie es ist, für andere mit zu fühlen, wissen die meisten Menschen. Aber wirft jemand das Wort Selbstmitgefühl in den Raum, können wir oft nicht wirklich etwas damit anfangen. Dabei bedeutet es eigentlich genau das, was es aussagt: Mitgefühl mit uns selbst zu haben. Konkret heißt das zum Beispiel, zu uns genauso gut zu sein, wie wir es zu unseren Lieben wären. Dazu kann gehören, uns zu loben, wenn wir etwas geschafft haben, uns zu trösten, wenn es uns nicht gut geht oder uns in schwierigen Situationen mit Verständnis, Trost und Zuversicht begegnen. Selbstmitgefühl ist ein Mittel, um uns anzunehmen und uns selbst zu lieben. Wir brauchen Selbstmitgefühl also, um Selbstannahme und Selbstliebe zu entwickeln. Diese Aspekte machen zusammen unseren Selbstwert aus.

Wer sich jetzt denkt „Ich will mich doch nicht die ganze Zeit selbstbemitleiden.“ Ist auf der falschen Fährte. Selbstmitleid könnte man fast als das Gegenteil von Selbstmitgefühl bezeichnen. Während wir uns beim Selbstmitleid passiv im schlechten Gefühl „baden“ und uns von anderen isolieren, gehen wir durch Selbstmitgefühl in die Aktivität. Wir versuchen aus dem schlechten Gefühl herauszukommen, indem wir für uns einstehen, unsere Gefühle akzeptieren und in uns spüren, was wir jetzt gebrauchen könnten.

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Warum sind wir nicht netter zu uns?

Es ist fast schon erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit wir uns oft selbst herunter machen. Das passiert meistens automatisch und auch schon in den kleinsten, alltäglichsten Situationen. Etwas fällt herunter und geht zu Bruch und wir denken uns, „Wieso bin ich immer so tollpatschig?“ Aber wieso gehen wir mit uns so hart ins Gericht?

Wir haben vor uns selbst keine Schamgrenze. Da wir nicht weglaufen können, gehen wir unvorsichtiger mit uns um als mit anderen. Unsere Freund:innen wollen wir nicht verletzen, weil wir es uns nicht mit ihnen verderben wollen. Anderen wollen wir nicht weh tun, weil sie sonst böse auf uns sein könnten. Um also unsere Beziehung zu Mitmenschen nicht aufs Spiel zu setzen, haben wir Mitgefühl, versuchen zu unterstützen und zu helfen. Wieso riskieren wir aber die Beziehung zu uns selbst? Wobei wir doch die Person sind, mit der wir unser gesamtes Leben verbringen?

Wir haben einen liebevolle:n Begleiter:in und eine:n innere:n Kritiker:in, die immer bei uns sind. Unser:e innere:r Kritiker:in kommt vor allem zum Vorschein, wenn unser ideales Selbstbild nicht mit unserem realen übereinstimmt. Dadurch fühlen wir uns bedroht und attackieren das, was uns bedroht – uns selbst. Diese Kritik an uns hat eigentlich den Sinn, die Realität immer mehr unserem Ideal anzunähern, allerdings ist die Abweichung zwischen den beiden oft so riesig, dass es zum Gefühl des „Bedrohtseins“ kommt.

Ohne Kritik keine Motivation?

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Es gibt den Irrglauben in unserer Gesellschaft, dass wir unseren Drive verlieren, wenn wir weniger von uns abverlangen. Die Forschung zeigt, dass wir durch den Stress, den wir uns damit machen, die ganze Zeit im „Fight & Flight“-Modus sind, in dem auch Stresshormone ausgestoßen werden. Wir befinden uns also im Dauerstresszustand. Gehen wir gelassener mit uns um, wird Oxytocin, ein Bindungshormon ausgeschüttet, das uns in einen Entspannungszustand versetzt. Aus dem Modus stehen uns viel mehr Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Das liegt daran, dass wir im Stresszustand möglichst schnell reagieren müssen, um zum Beispiel evolutionär gesehen einer Gefahr aus dem Weg zu gehen oder zu kämpfen. Das war früher überlebensnotwendig und ist es manchmal auch heute noch. In den meisten Fällen, in denen wir uns in diesen Zustand versetzen, allerdings nicht. Oft wäre es viel hilfreicher, einen Gang zurückzuschalten, sich zu beruhigen und sich bei nicht hilfreichen Gedanken oder Verhaltensmustern zu ertappen.

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Selbstmitgefühl lernen

Um Mitgefühl mit uns selbst zu haben, müssen wir erstmal ein Gefühl für uns selbst bekommen. Das bedeutet, wir müssen lernen, uns zu spüren und unsere Grenzen wahrzunehmen. Das schließt mit ein, zu wissen, wann etwas zu viel ist, was noch schaffbar ist und wo lieber abgesagt werden sollte. Viele spüren diese Dinge erst, wenn sie allein sind. Besonders Menschen mit hohem Funktionslevel und Perfektionsstreben, also Leuten, die immer alles richtig machen wollen, fällt es schwer, zu spüren, was sie wirklich brauchen. Um zu lernen, mehr Kontakt zu sich aufzunehmen, können Übungen wie ein Körper-Scan, Meditation oder generell Achtsamkeitsübungen helfen. Indem wir achtsam durch den Tag gehen, achten wir viel mehr darauf, wie es uns in verschiedenen Situationen geht. Sind wir das nicht gewohnt, muss das erst erlernt werden.

Die wichtigste Regel zum Selbstmitgefühl: Sei dir selbst dein:e beste:r Freund:in. Mit uns so zu reden wie mit Freund:innen, uns zu trösten, zu feiern, sanft zu und stolz auf uns zu sein, all das sind kleine Dinge, die wir für uns tun können. Dabei gibt es natürlich keine Anleitung, die für jeden Menschen passt. Jedes Individuum muss für sich selbst herausfinden, was guttut. Das ist sehr individuell und muss nicht immer Sport, ein Schaumbad oder eine Gesichtsmaske sein. Hier gilt: Probieren geht über studieren. Wir können einfach alles Mögliche austesten und uns aufschreiben, was uns eine Freude bereitet oder in schwierigen Situationen hilft. Dabei kann unterschieden werden zwischen kurzfristigen und langfristigen „Vergnügen“. Haben wir dann eine Liste an Dingen, können wir uns jederzeit etwas passendes herausnehmen und uns so um uns kümmern. Ganz allein.

Zudem können wir, statt nur daran zu arbeiten, die Realität unserem idealen Selbstbild anzunähern, auch die andere Richtung einschlagen. Das Idealbild ist oft (fast) unerreichbar hoch, sodass die Lücke zu schließen, zumindest kurzfristig unmöglich ist. Die Lösung könnte sein, unser Ideal etwas in Richtung Realität zu verschieben. Setzen wir uns realistische, kleine Ziele, sind wir auch zufriedener mit uns, weil wir die Ziele auch tatsächlich erreichen können.

Es kann auch hilfreich sein, sich die eigenen Gedanken in schwierigen Situationen erst einmal bewusst zu machen und dann umzuformulieren. Diese Technik nennt man Selbstverbalisation. Dafür versetzt man sich gedanklich in eine Situation, in der man sich beispielsweise schlecht behandelt hat oder in Selbstmitleid versunken ist. Durch das Erinnern an die Gedanken in der Situation und eventuell die Verschriftlichung davon wird erstmal deutlich, wie wir mit uns selbst umgehen. Auch die Auswirkungen dieses Umgangs sollten wir uns klarmachen, also: Wie haben wir uns dadurch gefühlt und was haben wir gemacht? Nach der Bewusstmachung können wir nun daran arbeiten, diese Gedanken umzuformulieren. Dabei kann es helfen, zu überlegen, was unser:e beste:r Freund:in zu uns sagen würde. Genau diese Zuwendung sollten wir nämlich auch auf uns selbst richten. Das nächste Mal, wenn wir in einer schwierigen Situation sind, können wir dann versuchen, netter zu uns zu sein und die Auswirkungen dann zu vergleichen. Spoiler: Es wird sich viel besser anfühlen, lieb zu uns zu sein.

Was macht Selbstmitgefühl mit uns?

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Auch wenn das jetzt erstmal nach viel Arbeit klingt, kann diese sich wirklich lohnen. Wissenschaftliche Studien konnten nachweisen, dass Selbstmitgefühl sich positiv auf verschiedene Lebensbereiche auswirkt. So haben Menschen mit mehr Selbstmitgefühl glücklichere Beziehungen, wobei der Einfluss hierbei sogar größer ist als der unseres Bindungsstils oder Selbstbewusstseins. Die mentale Gesundheit ist durch kognitive Flexibilität erhöht. Das bedeutet, dass das Gehirn durch stärkeres Selbstmitgefühl eher in der Lage ist, Verhalten und Gedanken an neue oder veränderte Gegebenheiten anzupassen. Auch der Umgang mit Stress wird durch Mitgefühl mit uns selbst verbessert, weil wir wissen, was uns guttut und uns dann auch so verhalten. Also: „Seid lieb zueinander!“ – Und damit sind ab jetzt nicht mehr nur andere, sondern auch wir selbst gemeint.

Trennung verarbeiten – wie kann ich endlich loslassen?

Ist man verliebt und glücklich in einer Beziehung, sind die Gedanken sicher ganz woanders als bei dem Schmerz, der auftritt, wenn diese irgendwann endet. Wie schlimm dieser Schmerz tatsächlich sein kann, wissen nur diejenigen unter uns, die schon mal eine Trennung erlebt haben. Spätestens, wenn auch die Trennungsneulinge das erste Mal mit Eiskübel und Taschentüchern im Bett landen, werden sie sich, wie schon die Bee Gees in einem ihrer Songs fragen: „Would you believe that no one ever told us about that sorrow?”. Denn wie qualvoll so eine Trennung sein kann, wird oft unterschätzt.

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Im Gehirn werden nach Trennungen ähnliche Areale wie nach einem Trauerfall aktiviert. Der Unterschied zum Trauern ist aber die Unwiderruflichkeit des Todes, während bei Trennungen teilweise erleichternd, aber vor allem erschwerend immer wieder Hoffnung dazwischenfunkt, die alte Beziehung wiederherstellen zu können. Zudem wurde in Studien nachgewiesen, dass sich Liebesentzug ähnlich wie Kokain- oder Drogenentzug auf den Körper und die Psyche auswirkt. Liebeskummer nach einer Trennung beläuft sich im Schnitt auf ein Jahr, während zumindest die Entgiftung und körperliche Abhängigkeit nach einem Drogenentzug mit ein bis zwei Wochen deutlich schneller vorbei sind. 

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Die Lösung dieses Schlamassels ist für uns aber trotzdem nicht, uns ab jetzt nicht mehr zu trennen: Der Kummer wird irgendwann vergehen und danach folgt ein Neuanfang. Um euch mit dem Umgang mit Trennungen zu unterstützen, haben wir hier zusammengetragen, wieso Trennungen so weh tun, welche Phasen wir dabei durchlaufen und was wir tun können, um uns das alles zumindest nicht noch schwerer zu machen. 

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Wieso tut Trennung so weh?

Trennung bedeutet immer, etwas Altes und Gewohntes loslassen zu müssen. Das ist mit Schmerzen verbunden, da wir soziale Zurückweisung und Ablehnung erfahren, die zu unseren evolutionären Grundbedürfnissen gehören. Außerdem werden wir aus unserer Komfortzone geschmissen oder dazu gezwungen, diese zu verlassen. Unbekanntes macht den meisten Menschen Angst, weil sie plötzlich Kontrolle abgeben müssen. Der Kontrollverlust schmerzt vor allem diejenigen, von denen sich getrennt wurde, weil ihnen etwas passiert, das sie nicht wollen und wogegen sie sich nicht wehren können.

Aus diesem Grund wird auch oft nach einer Erklärung für die Trennung gesucht. Haben wir Gewissheit, dass es einen bestimmten Grund dafür gibt, schenkt uns das ein bisschen Sicherheit. Wir können also versuchen, die eigenen Anteile, die zur Trennung geführt haben, in der jetzigen oder nächsten Beziehung zu ändern.  Zum Problem wird diese Suche nach der eigenen Schuld, aber für unser Selbstwertgefühl. Werden wir verlassen, leidet unser Selbstwert sehr stark.

Suchen wir dann auch noch den Fehler bei uns selbst, setzt das nochmal eine Schippe drauf. Und als wäre das noch nicht genug, gibt es ja auch Fälle, bei denen wir wegen neuen Partner:innen verlassen werden, was ebenfalls eine große Kränkung des Selbstwertgefühls darstellt. Psychologisch verbirgt sich dahinter, dass wir gelernt haben, unseren Selbstwert durch andere Menschen zu sehen wie durch einen Spiegel. Wir denken also, wir sind etwas wert, wenn andere sich uns gegenüber nett verhalten. Andersherum fühlen wir uns weniger wert, wenn wir Ablehnung erfahren. Da eine Trennung so ungefähr die größte Ablehnung ist, die einem passieren kann, könnt ihr euch ja denken, wie es unserem Selbstwert damit geht.

5 Phasen einer Trennung

1

Leugnung

Zuerst wollen wir gar nicht wahrhaben, was passiert ist. Wir leugnen, dass die andere Person sich entliebt hat oder uns aus anderen Gründen nicht mehr als Partner:in haben will. Dadurch ist noch viel Hoffnung auf ein Comeback der Beziehung vorhanden. Was jetzt erstmal kontraproduktiv klingt und es auch werden kann, wenn man sich zu lange in dieser Phase aufhält, hat zu Anfang eine Schutzfunktion. Wenn wir gleich alle schmerzhaften Gefühle zulassen würden, wäre das kaum oder auch gar nicht aushaltbar. Über die Verleugnung dosieren wir die Gefühle, damit nicht der ganze Schmerz auf einmal auf uns einprasselt. Und to be honest: Gefühle sind auch dosiert noch schlimm genug.

2

Inneres Gefühlschaos

Irgendwann realisieren wir, was eine Trennung wirklich bedeutet. Die Hoffnung lässt nach und es wirken vor allem die schmerzhaften Gefühle. Besonders Wut und Trauer kommen zum Vorschein. Oft tauchen auch Rachegefühle auf und wir wollen unsere:n Ex-Partner:in an unserem Schmerz teilhaben lassen oder ihn/sie bestrafen. Tun wir das, geht es uns allerdings danach noch schlechter, wenn uns klar wird, was wir angerichtet haben. Vor allem unser Bedürfnis nach Bindung ist durch den Verlust frustriert, wodurch wir uns traurig und ängstlich fühlen. Das kann bis hin zur Verzweiflung darüber führen, wie wir unser Leben ohne die andere Person weiterführen und gestalten sollen. Dadurch entsteht der Wunsch, die alte Situation wiederherzustellen, womit wir uns schon in der nächsten Phase befinden.

3

Rettungsversuche

Um aus dem Gefühl der Hilflosigkeit herauszukommen, versuchen wir die Beziehung doch noch zu retten. Das bedeutet, wir fragen uns, ob die Trennung ein Fehler war und was wir tun können, um sie wieder aufzunehmen. Manche führen dann genau das aus, was sie als hilfreich erachten. Problematisch dabei ist die Idealisierung des/der Expartner:in. Auf einmal scheinen die sonst so präsenten Probleme in der Beziehung doch gar nicht mehr so bedeutsam und die „nervigen“ Eigenschaften der anderen Person doch gar nicht so schlimm. Die Rettungsversuche rauben sehr viel Energie und vor allem die noch oder wieder bestehende Hoffnung erschwert das Loslassen. Bemerken wir dann, dass die Rettungsversuche ins Nichts laufen, folgt das emotionale Tief.

4

Emotionales Tief

Diese Phase kann erstmal wie ein Rückschritt wirken, weil sie sich durch das Annehmen der Gefühle und die dadurch große Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit nochmal sehr schmerzhaft anfühlt. Aber so werden die vorher verdrängten Gefühle an die Oberfläche geholt und können verarbeitet werden. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Das emotionale Tief, in das wir uns begeben, fühlt sich wie eine Art Depression an. Diese kann sich auch in körperlichen Beschwerden äußern, wie Appetitlosigkeit, Schlafproblemen, Antriebslosigkeit oder mangelnder Motivation alltägliche Dinge zu erledigen. So trauern wir um die Beziehung, die schönen Momente und die vergangene Liebe.

5

Akzeptanz und Neuanfang

Irgendwann folgt dann die letzte Phase. Wir können die Trennung akzeptieren und positiv nach vorne blicken. Dabei ist es unterschiedlich, wie lange es dauert, in dieser Phase anzukommen. Aber sind wir endlich da, können wir mit neuen Perspektiven in die Zukunft schauen. Für viele beginnt nach einer Beziehung sogar nochmal eine Art Selbstfindung, weil mehr Zeit da ist, sich mit sich selbst, Freund:innen oder neuen Hobbys zu beschäftigen.

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Wie lasse ich los?

First things first: Es gibt kein Geheimrezept, das man befolgen kann, um alle Schritte zu überspringen und die Trennung direkt zu akzeptieren. Aber wir können uns die ganze Sache zumindest etwas erleichtern und den Prozess vielleicht sogar ein wenig beschleunigen. Zuallererst ist es von großer Bedeutung, dass wir aktiv die Entscheidung treffen, über die andere Person hinwegkommen zu wollen. Was jetzt vielleicht etwas trivial klingt, ist wirklich entscheidend für den Prozess. Und es ist nicht ausreichend, unseren Freund:innen zu erzählen, wir würden jetzt unseren eigenen Weg gehen und uns lösen. Ja, leider müssen wir uns das auch selbst sagen und auch zu dieser Entscheidung stehen und uns dementsprechend verhalten. Dies ist ein wichtiger Schritt, um wieder Kontrolle über das eigene Leben zurück zu gewinnen. 

Ein weiterer entscheidender Punkt ist, darüber zu reden. Sprechen wir über die Trennung, können wir unsere Gefühle abfließen lassen und die Tatsache akzeptieren. Generell ist Gefühle zuzulassen bei der Verarbeitung einer Trennung sehr wichtig, aber eben auch schmerzhaft. Damit wir nicht in ein zu tiefes Loch fallen, in dem die Gefühle nicht aushaltbar sind, ist eine Mischung aus allein Trauern und Ablenkung essenziell. Ablenkung hilft uns, die schlechte Stimmung zu reduzieren, schiebt aber schmerzhafte Gefühle auf. Deshalb ist eine Balance zwischen beidem notwendig. 

Nach einer Trennung können große Lücken im Alltag entstehen. Vor allem bei langjährigen und sehr engen Beziehungen wirken diese Lücken vermutlich eher wie große tiefe Löcher, die erstmal durch nichts gefüllt werden können. Aus einem WIR muss also wieder ein ICH werden. Auch hier gilt wieder „I get by with a little help from my friends”, wie es die Beatles schon sehr passend formulierten. Freund:innen können nämlich genauso gut fragen, wie der Tag war, neue Hobbys mit uns ausprobieren und auch mit uns in Restaurants oder Kinos gehen. Und wer weiß, vielleicht lernen wir uns und unsere Freund:innen dadurch nochmal ganz neu kennen. 

Was viele wissen, aber oft nicht wahrhaben wollen: Es ist eine große Erleichterung des Lösungsprozesses, den/die Expartner:in auf allen Social Media Plattformen zu entfernen und den Kontakt abzubrechen. Jedes Mal, wenn wir eine Story oder einen Beitrag sehen oder sonst irgendwelche Informationen über die Person erhalten, sind wir für einen kurzen Moment wieder in deren Leben. Das gibt uns ein gutes Gefühl, weil unserem Gehirn suggeriert wird, wieder in einer Beziehung zu sein. Es bekommt eine Dosis des Suchtmittels, was die Schmerzen abpuffert, aber auch am Loslassen hindert, indem Hoffnung geschürt wird. Daraus resultiert dann leider nur die Aufrechterhaltung des Liebeskummers und der Sehnsucht.

Nimm dir die Zeit, die du brauchst!

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Insgesamt ist die Verarbeitung einer Trennung ein Prozess mit Höhen und Tiefen, der Zeit braucht. Das Wichtigste ist, dass wir uns diese Zeit geben und nicht zu hart zu uns selbst sind. Es ist total okay und auch normal, sich traurig und allein zu fühlen. Eine Trennung bietet aber auch die Möglichkeit, sich wieder mehr mit sich selbst auseinanderzusetzen und aus der vergangenen Beziehung zu lernen. Wenn wir die Chance nutzen und darüber reflektieren, was wir uns in der nächsten Partner:innenschaft anders wünschen, können wir gezielter suchen und an unserem eigenen Anteil arbeiten. Vielleicht merken wir aber auch, dass andere Beziehungsformen passender für uns wären oder wir erstmal eine Zeit lang für uns sein wollen. Wenn wir offen für Neues sind und unsere Wünsche und Bedürfnisse erkennen und Ernst nehmen, kann unser Leben nach einer Trennung sogar erfüllter werden und besser zu uns passen. 

Du denkst immer wieder an deine vergangene Beziehung oder kommst nicht über eine bestimmte Person hinweg? Liebeskummer kann eines der schlimmsten Gefühle für uns Menschen sein. Wenn du dich grade in so einer Situation befindest und Unterstützung brauchst, könnte der Online-Kurs „Liebeskummer überwinden“ von der Stefanie Stahl Akademie genau das richtige für dich sein.

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Das Leben ist schön! Was macht ein erfülltes Leben aus?

Unsere Zeit auf dieser Erde ist begrenzt. Das ist den einen mehr und den anderen weniger bewusst. Was wir jedoch alle wissen: Wir wollen das Beste aus unserem Leben machen, Chancen nutzen und Träume verwirklichen. Wir wollen am Ende auf unser Leben schauen und zufrieden mit dem sein, was wir erlebt haben. Aber wie schaffen wir das? 

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Der Autor John Strelecky  gibt  in seinem Buch “The Big Five for Life“ eine Antwort auf diese große Frage. Diese Antwort ist aber kein Leitfaden, wie wir ab jetzt unser Leben zu führen haben, sondern gibt uns Hinweise darauf, wie wir für uns ganz individuell herausfinden können, was wir wirklich für unser Leben wollen. Hierbei  kann uns das Konzept der “Big Five for Life” helfen. 

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Was sind die Big Five for Life? 

Die Big Five stehen für fünf Dinge, die wir erleben oder tun möchten, damit wir am Ende unserer Tage auf ein glückliches, erfolgreiches und erfülltes Leben schauen können. Diese fünf Dinge sind natürlich von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Sie sollen uns dabei helfen, das Leben so zu leben, wie wir uns es vorstellen. Haben wir erstmal diese fünf Dinge für uns herausgefunden und können die Aufmerksamkeit auf sie lenken, dann können wir all unsere Zeit, Energie und (finanziellen) Ressourcen für unsere fünf Ziele einsetzen. 

Aber was sind nun diese fünf Dinge? Das muss jede:r für sich selbst entscheiden. Es kann etwas Kurzfristiges sein, wie beispielsweise der Wunsch, unbedingt mal in Australien den Sonnenaufgang gesehen zu haben oder einmal im Leben Fallschirm zu springen. Es können aber auch Dinge sein, die sich wie ein roter Faden durch das ganze Leben ziehen, wie z. B. eine liebevolle Beziehung zu den Menschen zu haben, die einem am wichtigsten sind. 

Haben wir diese Dinge für uns herausgefunden, müssen wir uns die Frage stellen, wie wir diese führenden Prinzipien in explizite Handlungen umwandeln und sie im Alltag umsetzen können. So werden die Big Five for Life zu unserem Purpose of Existence (dt.: Zweck der Existenz). Also zur Frage, warum wir auf dieser Erde existieren und was wir mit unserer Zeit, die wir hier noch haben, tun möchten.   

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Glückliches Leben mit den Big Five for Life?

Aber wie finden wir eine Antwort auf diese Frage und wie finden wir heraus, was unsere Big Five for Life sind? Eins ist klar: Die Antwort wird nicht einfach in unserem Kopf wie eine Push-Benachrichtigung aufploppen. Es kann ein längerer Prozess sein, herauszufinden, was wir wirklich wollen, um ein glückliches Leben zu führen. Auch hier muss jeder Mensch seinen eigenen Weg finden. 


Was jedoch immer helfen kann: Sich Zeit für sich nehmen – ganz alleine. In die Natur fahren, spazieren gehen, mal das Handy in den Flugmodus schalten und sich die Frage stellen: Warum bin ich hier? Lassen wir unseren Gedanken freien Lauf, werden wir irgendwann von selbst auf die Antwort der Frage kommen. Wenn wir uns jeden Tag die Zeit nehmen und uns immer wieder dieselbe Frage stellen, setzt sich langsam ein Bild von dem zusammen, was wir wirklich wollen.

Angst: Hindernis oder Motivation?  

Haben wir erkannt, was wir wollen, geht es an die Umsetzung. Das klingt ziemlich leicht, wenn man es hier liest, es kann aber einiges an Kraft und Mut erfordern. Realisieren wir zum Beispiel, dass unser Partner oder unsere Partnerin nicht der oder die Richtige fürs Leben ist oder wir nochmal einen ganz neuen Job anfangen möchten, bedeutet das: Veränderung. Veränderung, die dazu beiträgt, dass wir unseren Big Five for Life näherkommen. Nämlich beispielsweise einen Job ausüben, der uns erfüllt oder unsere Zeit mit einem/einer Partner:in, den oder die wir innigst lieben, verbringen. 


Woher nehmen wir den Mut? Wie finden wir den Antrieb wirklich etwas zu ändern? Hier ist es wichtig, uns vor Augen zu führen, wovor wir Angst haben und welche Angst uns leitet. Ist es die Angst vor dem Versagen, vor dem Alleinsein oder vor der großen Unsicherheit? Denn wir haben die Wahl: Wollen wir uns von den Ängsten leiten lassen, die uns daran hindern, das zu erreichen, was wir wirklich wollen? Oder möchten wir uns vor der Angst, die am gewaltigsten ist und die wir alle in uns haben – die Angst vor dem Tod – motivieren lassen? Sich davon zu motivieren zu lassen, klingt vielleicht etwas makaber. Aber so ist es doch: Unsere größte Angst ist es, irgendwann zu sterben und zu wissen, dass wir nicht das Leben geführt haben, das wir wollten. Und von diesem Gedanken müssen wir uns antreiben lassen, Entscheidungen treffen und die Dinge in die Hand nehmen. Auch wenn es sehr schwer sein kann.

Hürden bezwingen

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Gehen wir nochmal genauer auf die Ängste ein, die uns daran hindern, unsere Big Five for Life anzugehen. 

1. 

Mangelndes Selbstvertrauen und -bewusstsein 

Häufig glauben wir nicht daran, dass wir schwierige Situationen in unserem Leben meistern können, wenn sie bevorstehen. Doch am Ende stehen wir da und haben es doch irgendwie geschafft . Also merken wir uns: Wenn wir selbstbewusst in irgendwas “kleinem” sind, dann können wir selbstbewusst in allem werden. 

Was heißt das? Ganz einfach: Kommt uns eines unserer Ziele im Leben zu groß vor, sollten wir etwas Kleines finden, das damit zu tun hat und darin besser werden. Wenn wir heute mit etwas anfangen und uns jeden Tag 15 Minuten damit beschäftigen, dann sind wir nach einem Monat schon viel besser darin. Und so kommen wir Schritt für Schritt zum großen Ziel. 

2. 

Die Angst vor dem Versagen 

Haben wir Angst davor zu versagen, sollten wir uns damit auseinandersetzen, wieso das so ist. Vielleicht haben wir Erfahrungen in unserer Kindheit gemacht, die dazu geführt haben,  dass wir uns heute nicht trauen, neue Dinge auszuprobieren. Wir müssen diese Erfahrungen ausfindig machen und sie gehen lassen. Denn diese Erfahrungen prägen unsere Sicht auf das Leben und können uns daran hindern zu wachsen. 

Machen wir uns klar, dass wir in unserem Leben Erfahrungen machen, um zu wachsen. Wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir unsere Erfahrungen annehmen und selbst vermeiden, diese beispielsweise an unsere Kinder weiterzugeben. Es ist eine Herausforderung, aber es lohnt sich, darüber zu reflektieren. Denn die Angst vor dem Versagen hindert uns daran, etwas zu verändern.

3. 

Unsicherheit

Oft sind wir uns überhaupt nicht sicher, wohin wir in unserem Leben wollen und machen es uns in unserer Komfortzone so richtig gemütlich. Es ist einfach im Hamsterrad des Lebens zu laufen, wenn wir gar nicht wissen, wie es außerhalb dieses Rades aussehen könnte. Also machen wir uns bewusst, was unsere Chancen sind. Aber machen wir uns vor allem bewusst, welche Chancen wir ergreifen möchten und was die großen Ziele unseres Lebens sind. Denn das gibt uns einiges an Sicherheit. 

Möchten wir z. B. einen Job finden, der uns erfüllt, trauen uns aber nicht, den alten Job zu verlassen, hilft vielleicht dieser Gedanke: Wenn ich in einem Beruf gut sein kann, der nicht perfekt ist. Wie gut könnte ich dann in einem Job sein, für den ich mich wirklich interessiere und brenne? 

Dieser Gedanke lässt sich auf viele Lebensbereiche übertragen.

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Ziele im Leben umsetzen 

Aber wo und wie fangen wir überhaupt an, unsere Big Five for Life im Leben umzusetzen? Ein Ansatz ist das Wie? vs. Wer?: Oft wissen wir überhaupt nicht, wie wir etwas anfangen sollen. Wir stecken fest und fangen gar nicht erst an, weil wir nicht wissen, wie. 

Deshalb könnte es helfen, uns jemanden herauszusuchen, der schon mal genau das gemacht hat, was wir uns schon so lange vornehmen. Und sind wir mal ehrlich: Wer anständig googelt, findet immer jemanden, der oder die irgendwas zum ersten Mal gemacht hat. Wir können uns dann also anschauen, wie diese Person es gemacht hat und sie zum Vorbild nehmen. Dann müssen wir es im Prinzip nur nachmachen. 

Gehen wir mal davon aus, wir wollen einen eigenen Podcast starten. Dann gibt es vermutlich Tausende von Menschen, an denen wir uns orientieren können. Es gibt sogar Podcasts darüber, wie man einen Podcast startet.

Brauchen wir Ziele?

Jetzt haben wir in diesem Beitrag vor allem die fünf großen Ziele im Leben thematisiert. Aber braucht wirklich jeder Mensch Ziele oder kann man nicht auch einfach mit dem Flow gehen und das Leben genießen? Sagen wir mal so: Wenn man beispielsweise das Leben ganz entspannt angehen möchte, ohne sich etwas Großartiges vorzunehmen, dann ist alleine das schon eins der Big Five for Life.

Wenn du deine persönliche Entwicklung noch intensiver fördern und hinderliche Glaubenssätze auflösen möchtest, dann könnte dir der Kurs „Das Kind in dir muss Heimat finden“ der Stefanie Stahl Akademie helfen. Weitere Informationen findest du hier:

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7 Tipps, wie man eine gute Beziehung führt

In Deutschland wird knapp die Hälfte aller Ehen geschieden, 60% der unverheirateten Paare trennen sich bereits im ersten Beziehungsjahr und Begriffe wie “toxische Beziehung” sind in aller Munde. Aber wie sehen denn eigentlich glückliche, stabile Beziehungen aus und was können wir tun, damit unsere Beziehung auch langfristig Bestand hat? Wir haben im Gespräch mit dem Diplompsychologen und Paartherapeuten Christian Hemschemeier die wichtigsten 7 Tipps für euch zusammengefasst.

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1. Schafft einen gemeinsamen Rahmen

Eine wichtige Grundvoraussetzung für eine glückliche und langfristige Beziehung ist es, einen Rahmen für die Beziehung zu schaffen, der mit den Werten, Bedürfnissen, Zielen und Vorstellungen in Bezug auf Beziehungsgestaltung und Zukunft beider Parteien übereinstimmt. 

Das bedeutet zum einen, dass sich erstmal jede:r selbst bewusst werden muss, welche Werte und Bedürfnisse er oder sie überhaupt hat. Dazu gehört zum Beispiel, wie wir unsere Sexualität leben möchten, wo für uns Fremdgehen anfängt, ob wir irgendwann gerne mit dem oder der Partner:in zusammenziehen wollen und so weiter. Dann sollten wir uns darüber klar werden, welche dieser Werte uns besonders wichtig sind – und zwar wichtiger als das Eingehen oder Aufrechterhalten der Beziehung. Man sollte sich also fragen: Was ist mir in einer Beziehung besonders wichtig? In welchen Bereichen möchte ich keine Kompromisse eingehen? Was ist für mich ein Dealbreaker? Denn auch wenn eine gewisse Kompromissbereitschaft für eine gute Beziehung wichtig ist, gibt es bestimmte Bedürfnisse, bei denen man nicht zurückstecken sollte. Sich dieser Werte bewusst zu werden, ermöglicht es, sich in der Beziehung auf Augenhöhe zu begegnen, statt dass sich eine Person in eine unterwürfige Haltung begibt und sämtliche persönlichen Bedürfnisse für die Beziehung aufopfert. Welche Inhalte diese Werte haben, kann von Person zu Person sehr verschieden sein – grundsätzlich kannst nur du entscheiden, bei welchen Grundwerten du keine Kompromisse eingehen willst! 

In einem zweiten Schritt ist es wichtig, diese Bedürfnisse dem oder der Partner:in auch so zu kommunizieren. Nur so erhält diese:r auch die Möglichkeit, zu entscheiden, ob sich das mit ihren oder seinen eigenen Vorstellungen vereinbaren lässt. 

Wenn man sich entscheidet, unter diesen Voraussetzungen eine verbindliche Beziehung einzugehen, ist es letztlich wichtig, dass es eben genau das ist – verbindlich. Das heißt, dass beide Parteien das vereinbarte Rahmengerüst der Beziehung akzeptieren und sich zum Ziel machen, sich an dieses zu halten. Dazu kann es auch gehören, ganz konkrete Regeln aufzustellen, die die Werte und Ziele unterstützen.

In diesem Prozess kann es selbstverständlich hilfreich sein, wenn die Parteien einen ähnlichen Hintergrund mitbringen oder einige Werte und Ziele teilen. Trotzdem heißt es nicht von ungefähr, dass sich Gegensätze anziehen: Unterschiedliche Werte und Interessen können auch zu positiver Spannung, gegenseitiger Ergänzung und Leidenschaft beitragen.

2. Arbeitet an eurem Selbstwertgefühl

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Der Selbstwert entpuppt sich oft als Kern vieler Probleme – dazu gehören auch Beziehungsprobleme. Das niedrige Selbstwertgefühl manifestiert sich in negativen Glaubenssätzen wie zum Beispiel: “Ich genüge nicht”, “ich bin nicht liebenswert, so wie ich bin” oder “ich bin eine Belastung für andere”. 

Der Selbstwert entpuppt sich oft als Kern vieler Probleme – dazu gehören auch Beziehungsprobleme. Das niedrige Selbstwertgefühl manifestiert sich in negativen Glaubenssätzen wie zum Beispiel: “Ich genüge nicht”, “ich bin nicht liebenswert, so wie ich bin” oder “ich bin eine Belastung für andere”. 

Aus diesen Glaubenssätzen folgen auch negative Vorannahmen für Beziehungen: Wer Schwierigkeiten hat, sich selbst mitsamt Schwächen und Fehlern anzunehmen und liebenswert zu finden, rechnet insgeheim damit, dass der oder die Partner:in das genauso sieht. Das führt notgedrungen zu Verrenkungen: Vielleicht strengt man sich besonders an, um dem Gegenüber zu gefallen und ordnet sich dabei völlig unter – oder man zieht sich zurück oder lässt sich nur noch oberflächlich auf Beziehungen ein, in der Angst, noch mehr im Selbstwert gekränkt zu werden oder sich selbst in der Beziehung zu verlieren. Dies sind typische Symptome von Verlust- und Bindungsangst. 

Wenn wir unser Selbstwertgefühl stärken und mehr Vertrauen in unseren eigenen Wert gewinnen, bekommen wir gleichzeitig also auch Vertrauen darin, dass uns unser:e Partner:in wertvoll findet. Die Arbeit am eigenen Selbstwertgefühl ist also auch für gesunde Beziehungen zentral

Aber wie schaffen wir es, unser Selbstwertgefühl zu steigern? 

Ganz wichtig ist, erstmal eine Bestandsaufnahme zu machen: Welche Glaubenssätze haben wir? Welche Bedürfnisse hat unser inneres Kind, und mit welchen Bewertungen straft uns unser innerer Kritiker? In einem zweiten Schritt sollten wir uns bewusst machen, dass unsere Glaubenssätze ein Zufallsprodukt unserer Kindheit sind. Diese Annahmen bilden sich bereits im Kindesalter, indem uns unser eigener Selbstwert scheinbar von unseren Bezugspersonen – meist in erster Linie den Eltern – gespiegelt wird. Das liegt daran, dass Kinder dazu tendieren, sich selbst als Ursache der um sie herum geschehenen Ereignisse zu sehen. Wenn Eltern beispielsweise oft gestresst sind, folgern Kinder daraus, dass sie die Ursache dieses Stresses – also anstrengend und eine Belastung – sind. Wenn wir uns bewusst machen, dass unsere negativen Glaubenssätze willkürlich sind und nichts über unseren wirklichen Wert aussagen, können wir auch von ihnen Abstand nehmen.

3. Achtet auf die eigenen Bedürfnisse

Für eine gesunde Beziehung ist es wichtig, eine Balance zwischen den eigenen und den Bedürfnissen des Partners oder der Partnerin zu finden. Wir sollten also empathisch auf die Bedürfnisse unseres Gegenübers eingehen, ohne dabei den Bezug zu unseren eigenen Bedürfnissen zu verlieren. Diese Balance zu finden, ist nicht einfach – gerade, wenn unsere eigenen Bedürfnisse und die unseres Partners oder unserer Partnerin im Konflikt stehen. Es erfordert also etwas Übung: einerseits darin, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen, andererseits darin, empathisch auf den oder die Partner:in zu achten. 

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Erkenne deine eigenen Bedürfnisse – Übungen

Achtsamkeitsübungen: Dabei geht es darum, deine Bedürfnisse und Gefühle achtsam wahrzunehmen. Setze oder lege dich also hin und höre tief in dich hinein. „Arbeite“ gedanklich folgende Fragen ab: Wo im Körper merke ich, dass ich gerade starke Gefühle habe? Aufgrund welcher Situation sind die Gefühle in mir aufgekommen? Warum löst diese Situation die Gefühle in mir aus? Welches Bedürfnis steckt dahinter und welcher Glaubenssatz wurde durch die Situation aktiviert? Wie kann ich selbst Verantwortung für diese Bedürfnisse übernehmen und mir selbst Gutes tun? Wiederhole dies regelmäßig. Mit der Zeit kannst du so deine eigenen Muster erkennen und deine Bedürfnisse aus dem erwachsenen Ich kommunizieren.

Wer bin ich – Übung: Schreibe deinen Namen auf ein Blatt Papier. Auf diesem Blatt Papier sammelst du alles, was es über dich zu wissen gibt. Diese Fragen können dir dabei helfen: Was sind meine 5 größten Stärken? Was sind meine 5 größten Schwächen? Wofür kann ich mich begeistern? Was bringt mich auf die Palme? Welche Ereignisse haben mein Leben am meisten beeinflusst? Welche Menschen haben mich am meisten geprägt?

Sei empathisch für die Bedürfnisse deines Gegenübers – Übung: Um die Empathie für die Bedürfnisse deines Gegenübers zu stärken, ohne den Bezug zu deinen eigenen zu verlieren, kann in einer Konfliktsituation oder in Bezug auf ein Streitthema die “Zuhören statt Lösen”-Übung helfen: In dieser Übung spricht im ersten Schritt nur der oder die eine:e Partner:in – das Gegenüber hört zu. Wenn er oder sie fertig gesprochen hat, wiederholt das Gegenüber alles, was er oder sie gehört und verstanden hat. Danach werden die Rollen gewechselt. Wichtig ist, das dann erstmal so stehen zu lassen und den Druck rauszunehmen, direkt eine Lösung zu finden. Es reicht, dem oder der Partner:in zuzuhören und Verständnis für die andere Sichtweise zu entwickeln. So wird die Empathie für die Bedürfnisse des Gegenübers gestärkt, während gleichzeitig die eigenen kommuniziert werden – ganz ohne Druck, das Problem direkt zu lösen. Dies kann sehr entlastend sein.

Ein solches Gespräch kann auch ohne eine akute Konfliktsituation regelmäßig (zum Beispiel einmal pro Woche) durchgeführt werden.

4. Kommuniziert miteinander

Grundsätzlich gilt: Je mehr kommuniziert wird, desto weniger Raum gibt es, in dem Missverständnisse entstehen können. Eine gute Paarkommunikation muss dabei nicht immer “politisch korrekt” sein: Manchmal kann es wichtiger sein, sich unmittelbar emotional auszudrücken und einfach mal zu sagen, was man denkt. Wenn die Kommunikation zu sehr verkopft ist, hilft das häufig auch nicht weiter. Solange die Vertrauensbasis und das Fundament der Beziehung stimmen, darf es auch mal knallen – im besten Fall kann das sogar dafür sorgen, dass sich die Situation durch Humor auflöst. Man darf sich also durchaus auch mal etwas Ungefiltertes um die Ohren hauen – trotzdem sollte die Kommunikationsweise im Grundsatz aufmerksam, achtsam, wertschätzend und gewaltfrei sein. 

5. Bemüht euch um eure:n Partner:in

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“The courtship never ends”
An diesem berühmten Spruch ist was dran: Für eine langfristig glückliche Beziehung ist es wichtig, dass wir nie aufhören, uns um unseren Partner oder unsere Partnerin zu bemühen. Auch nach der eigentlichen “Datingphase” weiterhin auf gemeinsame Dates zu gehen und gemeinsame Erlebnisse zu teilen, kann sehr verbindend sein. Dabei sollten wir auch immer mal wieder etwas Neues ausprobieren: Statt ständig nur zum Lieblingsitaliener zu gehen, könnten wir auch mal das neue Restaurant an der Ecke ausprobieren oder etwas ganz anderes unternehmen.

Manchen Paaren kann es auch Spaß machen, abwechselnd den oder die Partner:in mit einem selbst geplanten Date zu überraschen. Man kann sich zum Beispiel auch den sogenannten “Hängebrücken-Effekt” zunutze machen:  Studien haben gezeigt, dass, wenn wir etwas Waghalsiges tun, das unser Adrenalinlevel steigen lässt, das das Verliebtheitsgefühle für die Person erhöhen kann, die uns beim Wagnis begleitet hat. Wenn ihr gemeinsam Abenteuer erlebt, bleibt es nicht nur spannend, sondern ihr schafft auch schöne gemeinsame Erinnerungen.

Trotzdem muss “quality time” nicht immer aus aufwendigen Ausflügen oder aufregenden Events bestehen. Auch bewusste, achtsame Momente der Zweisamkeit sind wichtig. Studien zeigen zum Beispiel, dass Berührungen und Augenkontakt bei Beziehungsproblemen hilfreich sein können. Wenn sich Paare bewusst Zeit für Nähe in Form von Berührung und Zuwendung nehmen, kann das die Intimität und Qualität der Partnerschaft verbessern.

6. Lasst etwas Luft an die Beziehung

Die berühmte Psycho- und Paartherapeutin Esther Perell sagte einmal sinngemäß, dass es gut für eine Beziehung ist, sich so fremd wie möglich zu bleiben. Um die Beziehung lebendig zu halten, ist es auch wichtig, auch mal Zeit alleine und mit anderen zu verbringen, statt immer alles mit dem oder der Partner:in zu machen. Eine Beziehung, die über lange Zeit gleichzeitig aufregend und vollkommen sicher ist, ist nämlich eine Illusion: Sicherheit und Leidenschaft sind ein Gegensatzpaar. LangfristigeBeziehungen funktionieren in der Regel dann am besten, wenn eine Balance zwischen diesen beiden Polen besteht. Das bedeutet auch, immer wieder Kontrolle abzugeben und den Partner oder die Partnerin alleine losziehen zu lassen – so hat man sich schließlich auch wieder etwas zu erzählen.

7. Erhaltet die Chemie

Auch bei diesem Punkt geht es darum, eine gute Balance zwischen Sicherheit und Spannung zu finden. Ist eine Beziehung nämlich nur sicher, kann man sie auch schnell mal zu Tode kuscheln. Ist sie jedoch gar nicht sicher und nur leidenschaftlich, ist auch keine langfristige Beziehung möglich. Es gilt also, eine Balance zu finden. Um die Beziehung frisch zu halten, ist es also hilfreich, Zeit getrennt zu verbringen und gemeinsam Neues zu erleben. Auch eine “riskante Kommunikation”, bei der man auch einfach mal sagt, dass man mit dem Sexleben nicht zufrieden ist oder gerne nach Neuseeland auswandern würde, kann für neue Spannung sorgen. Schlussendlich kann dieser Prozess aber auch eine Wertentscheidung sein: Wem Sicherheit in der Beziehung sehr wichtig ist, wird dem zuliebe vielleicht auf etwas Leidenschaft verzichten; für wen ständige Spannung und Abenteuer vorgehen, wird vielleicht weniger langfristige Beziehungen führen.

Wann sollte man zur Paartherapie gehen?

Paartherapie kann sehr hilfreich sein, um Beziehungsprobleme zu bewältigen. Grundsätzlich gilt: Wo kein Leidensdruck besteht, ist auch keine Therapie nötig. An vielen der oben genannten Punkte kann man auch durchaus alleine arbeiten. Trotzdem sollte man eine Paartherapie lieber zu früh als zu spät in Angriff nehmen: So kann im besten Fall vermieden werden, dass die Probleme überhaupt groß werden.

Beziehungen sind der Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens. Wünschst du dir ein harmonisches Miteinander, aber gleichzeitig auch, besser für dich und deine Bedürfnisse einzustehen? Dann könnte der Online-Kurs „Beziehungen auf Augenhöhe“ von der Stefanie Stahl Akademie genau das Richtige für dich sein. Lerne auch in schwierigen Situationen, gleichberechtigt zu kommunizieren. Hier findest du weitere Informationen zum Kurs:

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Sucht – was ist das und wie gehen wir damit um?

Viele von uns trinken abends gern mal ein gutes Glas Wein (und auch mal eines über den Durst), in Deutschland raucht knapp ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung. Aber was, wenn wir ohne das Glas Wein abends nicht mehr abschalten können? Ist das noch Genuss oder schon Sucht? Was können wir tun, wenn eine Person in unserem Umfeld süchtig ist? Wir haben die wichtigsten Informationen und Antworten zu Sucht und zum Umgang mit Suchterkrankungen im persönlichen Umfeld zusammengefasst.

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Sucht erkennen

Wir alle streben ständig danach, Dinge zu erleben, die uns Spaß bereiten und Lust oder Genuss versprechen: Dies ist ein Grundbedürfnis des Menschen, das dafür sorgt, dass wir positive Emotionen erleben können. Dieses Bedürfnis hat aber auch eine Kehrseite: Es macht uns anfällig für Versuchungen, die sich kurzfristig zwar gut anfühlen, uns langfristig aber schaden. Wenn der Umgang mit solchen Versuchungen außer Kontrolle gerät, können wir eine Sucht entwickeln.  

Unter dem Begriff “Sucht” werden gemäß dem deutschen Bundesgesundheitsministerium alle riskanten, missbräuchlichen und abhängigen Verhaltensweisen in Bezug auf legale und illegale Suchtmittel sowie “nicht stoffgebundene Verhaltensweisen” zusammengefasst. Süchte bezeichnen also nicht nur klassische Substanzabhängigkeiten wie Alkohol- oder Drogensucht, sondern auch andere exzessive Verhaltensweisen wie zum Beispiel Sexsucht oder pathologischen Internetgebrauch. 

Gemäß der “Internationalen Klassifikation von Krankheiten” (ICD-11) ist eine Abhängigkeit durch drei Kernmerkmale gekennzeichnet. Erstens ist die Kontrolle über den Konsum beeinträchtigt. Auch wenn man sich zum Beispiel vorgenommen hat, heute mal nicht so viel zu trinken, wacht man am nächsten Tag doch mit einem schrecklichen Kater auf. Zweitens manifestiert sich die Sucht in bestimmten körperlichen Vorgängen: Man entwickelt eine Toleranz in Bezug auf den Suchtstoff – statt einem müssen wir plötzlich fünf Biere trinken, um angeschwipst zu werden –, und man zeigt Entzugssymptome, wenn der Konsum reduziert oder abgebrochen wird. Drittens wird der Konsum zur Priorität: andere Aktivitäten,  Interessen und soziale Verpflichtungen werden wegen des Konsums vernachlässigt. Wenn mindestens zwei dieser drei Merkmale über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr erfüllt sind, spricht man aus medizinischer Sicht von einer Sucht.

Vom Genuss zur Sucht – wie passiert das eigentlich?

Sucht entsteht also, wenn der Kontrollverlust über eine Substanz oder Verhaltensweise zu körperlichen, sozialen und persönlichen Schäden oder Problemen führt. Häufig beginnt dieser Prozess damit, dass das Verhalten oder die Substanz als Genuss gesehen wird. Dank des Belohnungssystems in unserem Gehirn werden Glückshormone ausgeschüttet, wenn wir etwas erleben oder konsumieren, was wir als Genuss empfinden. Ganz wesentlich ist dabei Dopamin: Der als “Botenstoff des Glücks” bekannte Neurotransmitter sorgt dafür, dass der momentane Glücksrausch nicht einfach verpufft, sondern bestimmte Emotionen sowie Denk- und Verhaltensmuster ausgelöst werden, die uns zur Wiederherstellung dieses Glücksrauschs antreiben. Problematisch wird es, wenn der Dopaminrausch zum Dauerzustand und der gewohnte Anreiz durchgehend gefordert wird. So wird der Konsumprozess bzw. das problematische Verhalten nämlich automatisiert und vom Genuss zu einer Notwendigkeit. Das Resultat dieses Prozesses: Sucht. 

Kritisch ist exzessives Konsumverhalten zudem insbesondere dann, wenn es als Mittel zum Zweck genutzt wird, um negative Gefühle zu überdecken. So entwickelt sich eine Assoziation zwischen dem Ausbleiben des negativen Gefühls und dem Konsum und man wird in der Annahme bestärkt, dass man das Gefühl nur durch weiteren Konsum bewältigen kann.

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Was geht in uns vor, wenn wir süchtig sind?

Grundsätzlich werden zwei Dimensionen der Sucht unterschieden: Körperliche und psychische Abhängigkeit. Von einer körperlichen Abhängigkeit spricht man, wenn körperliche Mangelerscheinungen auftreten, sobald das Level der Substanz im Körper bzw. das Ausmaß des Verhaltens unter das gewohnte Niveau fällt. Der Körper gewöhnt sich also daran, dass ständig konsumiert wird und leitet daraus einen neuen Status quo ab. Psychische Abhängigkeit heißt, dass sich eine sehr starke Gewohnheit des Konsumverhaltens ausbildet. Das passiert, indem das Gehirn wiederholt den Konsum oder das Verhalten mit positivem Empfinden verknüpft. Mit jeder zusätzlichen Erfahrung verfestigt sich diese Verknüpfung, bis wir schließlich die Annahme verinnerlichen, dass wir dieses positive Empfinden nur noch mit dem Konsum erreichen können.

Der Übergang zwischen körperlicher und psychischer Abhängigkeit kann jedoch fließend sein. Der Psychologe Gene Hayman argumentierte in diesem Sinne, dass Sucht keine körperliche Krankheit sei, sondern vielmehr eine Störung des willentlichen Entscheidungsverhaltens (oder auf Englisch eine “disorder of choice”): Während sich eine krebserkrankte Person nicht gegen die Krankheit entscheiden kann, entscheiden sich viele Suchterkrankte an einem gewissen Punkt in ihrem Leben dafür, das Suchtverhalten einzustellen. Hayman stellt die These auf, dass diese Entscheidung getroffen wird, sobald die negativen Konsequenzen des Suchtverhaltens über die positiven Empfindungen überwiegen. Wenden sich beispielsweise aufgrund der Sucht Angehörige von einem ab oder stellt man große körperliche Schäden fest, kann einen das dazu befähigen, mit dem Konsum aufzuhören. Trotzdem relativiert dies nicht die massiven körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen, die eine Sucht und der Prozess des Abstinentwerdens mit sich bringen kann.

Wer eher süchtig wird – und wer nicht

Studien zeigen, dass es bei der Suchtenwicklung gewisse Risiko-, aber auch Schutzfaktoren gibt. Diese sind selbstverständlich nie alleine dafür verantwortlich, dass eine Sucht (nicht) entwickelt wird, können uns dabei aber eher im Weg stehen bzw. uns unterstützen.

Ein wichtiger Risikofaktor ist die soziale Einbettung: Ist es beispielsweise im Freundeskreis völlig normal, sich jedes Wochenende bis zum Filmriss zu betrinken, sind wir einem höheren Risiko ausgesetzt. Auch eine instabile Bindung zu den Eltern, fehlende Regeln und Normen sowie Missbrauchs- und Gewalterfahrungen erhöhen das Risiko der Suchtentwicklung. Umgekehrt sind Schutzfaktoren zum Beispiel ein stabiles Selbstwertgefühl, eine gute Bindung zu den Eltern, in der Normen und Regeln angemessen vermittelt wurden; Aufklärung über Suchtmittel sowie gute Konfliktlösefähigkeiten. 

Bei gewissen Substanzabhängigkeiten geht man zudem davon aus, dass sie durch eine genetische Komponente mitbedingt werden. Dazu gehört zum Beispiel Alkohol. Auch gewisse körperliche Eigenschaften können die Entwicklung einer Sucht begünstigen: So haben Personen, welche Nikotin schnell verstoffwechseln, eine höhere Anfälligkeit für eine Nikotinsucht, während Personen mit einem langsamen Nikotinstoffwechsel auch jahrelang “Partyraucher:innen” sein können, ohne ein Suchtverhalten zu entwickeln.

Ich glaube, ich bin süchtig! Was nun?

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Obwohl ein beachtlicher Teil der Bevölkerung von Suchterkrankungen betroffen ist, sind diese nach wie vor mit viel Stigma behaftet. Daher kann es für Betroffene sehr schwierig sein, offen mit der Erkrankung umzugehen und sich Hilfe zu suchen. Wer glaubt, eine Sucht entwickelt zu haben, kann sich bei der bundesweiten Sucht- und Drogenhotline unter 01806 313031 rund um die Uhr beraten lassen. Auch die Hausärztin oder der Hausarzt kann eine erste Anlaufstelle sein. Auf verschiedenen Internetseiten stehen außerdem kostenlose Tests zur Verfügung, die eine Einschätzung des eigenen Suchtverhaltens anbieten.

Die Behandlung von Süchten kann sehr unterschiedlich sein: Neben entgiftenden Behandlungen oder Substitutionstherapien können auch Psychotherapie oder Gruppenangebote sehr hilfreich sein. Gerade wenn die Sucht der Überdeckung tieferliegender Symptome dient, ist psychotherapeutische Hilfe zentral. 

Umgang mit Suchterkrankten – Tipps für Angehörige, Freunde und Partner:innen

Millionen von Menschen in Deutschland leiden unter einer Sucht; mehrere hunderttausende sterben jährlich an Suchtfolgen. Sucht wird also im Verlauf des Lebens bei fast allen von uns zum Thema – ob als Betroffene, oder weil wir in unserem Umfeld Personen haben, die an einer Sucht leiden. Wir haben für euch die Antworten auf drei wichtige Fragen zum Umgang mit Suchterkrankungen im eigenen Umfeld zusammengefasst.

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Wie kann ich eine mir nahestehende Person überzeugen, auf das Suchtmittel zu verzichten?

Wichtig ist erstmal, sich bewusst zu machen, welches Ziel man mit diesem Überzeugungsversuch verfolgt. Dabei geht es nämlich oft nicht nur darum, dem Gegenüber zu helfen, sondern darum, unsere eigenen damit verbundenen Emotionen zu bewältigen. Sucht ist letztendlich ein selbstschädigendes Verhalten, das in uns einerseits eine starke Sorge um die uns nahestehende Person und ihr Wohlbefinden, andererseits ein Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht auslösen kann. Indem wir aktiv werden und versuchen, die Person von ihrem Verhalten abzubringen, meinen wir, dieser Ohnmacht etwas entgegensetzen zu können. Wir bekommen subjektiv ein Gefühl von Kontrolle zurück. 

Kontrolle ist eines unserer Grundbedürfnisse und dieser Impuls ist somit absolut nachvollziehbar. Trotzdem rennen wir mit diesen Überzeugungsversuchen häufig gegen eine Wand oder machen die Situation sogar schlimmer: Der Erwartungsdruck kann nämlich auch dazu führen, dass sich das Gegenüber in seinem Autonomiebedürfnis bedroht sieht und umso mehr auf seinem Verhalten beharrt. So führen unsere Ratschläge und Argumente, die eigentlich in Sorge gründen und nur gut gemeint sind, zu einem Machtkampf und einer Verhärtung der Beziehung. 

Die einfache Antwort auf die Frage ist also: Gar nicht. Wir müssen also akzeptieren, dass wir die Verantwortung für das Verhalten unseres Gegenübers weder übernehmen sollen noch können. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als bei uns selbst anzusetzen – aber wie?

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Wie gehe ich damit um, wenn eine mir nahestehende Person nicht von ihrer Sucht loskommt?

Wichtig ist erstmal, dass wir uns bewusst machen, was die Erkrankung der uns nahestehenden Person in uns auslöst. Meist ist dies zum einen Angst: Wir haben Angst um die Gesundheit der anderen Person und in der Folge auch um die Bindung. Zum anderen ist dies das Gefühl der Hilflosigkeit. Um diese Gefühle zu bewältigen, ist es entscheidend, dass wir sie erstmal zulassen und bewusst spüren. Gerade in Eltern-Kind-Beziehungen oder anderen langjährigen Beziehungen können sich da über die Zeit viele schmerzhafte Gefühle und Erfahrungen angestaut haben. Indem wir uns den Gefühlen von Angst und Hilflosigkeit aussetzen, können wir auch eine gewisse Emotionstoleranz aufbauen.  

Im zweiten Schritt müssen wir uns bewusst machen, dass wir keine Verantwortung für das Verhalten der anderen Person tragen. Der Psychologe Alfred Adler sprach diesbezüglich vom “Prinzip der radikalen Aufgabentrennung”: Wir sind für unser eigenes Verhalten verantwortlich, aber nicht für das anderer Personen; das gleiche gilt für unser Gegenüber. Letzten Endes müssen wir akzeptieren, dass jede Person das Recht hat, zu leben, wie sie will – auch, wenn es ihr selbst schadet.
Letztlich können wir uns auch fragen, ob wir in unserem Umgang mit der Sucht der uns nahestehenden Person eigene Muster bedienen: Vielleicht ziehen wir eine Selbstwertbestätigung daraus, ständig für die andere Person da zu sein und wissen gar nicht genau, wer wir ohne dieses Muster eigentlich sind. In diesem Fall wäre es wichtig, sich dieses Musters bewusst zu werden, es zu durchbrechen und an der Stabilisierung unseres Selbstwerts zu arbeiten.

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Darf ich den Kontakt mit einer mir nahestehenden Person abbrechen, die ein Suchtproblem hat?

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Die einfache Antwort auf eine schwierige Frage lautet: Ja. Auch hier gilt das Prinzip der Aufgabentrennung. Wenn uns der Kontakt mit der betroffenen Person nicht gut tut und keine Aussicht auf eine Veränderung besteht, ist es wichtig, dass wir uns davon abgrenzen. Schließlich gilt unsere Verantwortung in erster Linie uns selbst und unseren Bedürfnissen, nicht dem Problem der anderen Person. Oftmals ist es eher eine innere Abgrenzung, die wir brauchen, um unsere Emotionen bewältigen zu können. Äußere Grenzen können uns diese innere Abgrenzung jedoch erleichtern. In einer solchen Situation kann ein Kontaktabbruch eine richtige und wichtige Lösung sein. 

Anlaufstellen 

Im Notfall:
Polizei 110 
Rettungsdienst 112
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Anderen vergeben – wie uns das gelingt

“Ich vergebe dir” – das zu sagen und auch wirklich zu meinen, kann schwer fallen, wenn man körperlich oder emotional verletzt wurde. Doch was bedeutet Vergebung überhaupt – und was nicht? Wie können wir lernen, zu vergeben, und ist Vergeben überhaupt immer die richtige Strategie?

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Was heißt Vergebung eigentlich – und was nicht?

“Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern”: Das Konzept der Vergebung spielt in vielen Religionen eine wichtige Rolle und wurde deshalb lange vor allem unter theologischen Gesichtspunkten diskutiert. Während vielen bereits im Religionsunterricht gesagt wurde, dass Vergeben eine Tugend sei, haben andere gelernt, dass Vergebung ein Zeichen von Schwäche ist. Aber was bedeutet Vergeben eigentlich?

In der Psychologie wird Vergeben als innerpsychischer Prozess definiert, bei dem eine Person, die sich als Opfer wahrnimmt, auf einen Schuldvorwurf gegenüber der Person in der Täterrolle verzichtet. Vergebung wird als psychologische Copingstrategie verstanden, mit der die Person in der Opferposition die durch eine Verletzung entstandenen Folgen bewältigen kann. Es geht also in erster Linie oft gar nicht um die Person, die einem die Verletzung zugefügt hat, sondern darum, die eigenen Emotionen zu bewältigen.

Obwohl an der Ausgangssituation zwei Personen beteiligt sind, kann der Vergebungsprozess unabhängig von dem oder der “Täter:in” stattfinden. Es ist also keine Konfrontation, Aussprache mit der betreffenden Person oder sogar Reue oder Einsicht derselben nötig: Vergeben können wir alleine.

Vergebung ist also ein einseitiger Prozess, der bedeutet, dass man die innere Haltung gegenüber der Person, die einen verletzt hat, ändert. Vergeben bedeutet, von Verletzung und Vorwurf loszulassen. Es bedeutet hingegen nicht, dass eine Verletzung vergessen, gerechtfertigt oder gar gutgeheißen wird. Vergeben meint auch nicht Versöhnung: Wir können einer Person vergeben, ohne die Beziehung mit ihr weiter fortzuführen oder mit ihr wieder ein gutes Verhältnis aufzubauen. 

Auch wenn wir unser Gegenüber für den Prozess des Vergebens nicht brauchen, ist Vergeben ein Beziehungsthema: Schließlich ist es eine uns nahestehende Person, die uns eine Kränkung oder Verletzung zugefügt hat. Vergeben ist also häufig im Kontext von Liebes- oder Familienbeziehungen, aber auch Freundschaften wichtig. Aber (wieso) sollten wir überhaupt überhaupt vergeben, und ist Vergebung immer eine gute Lösung?

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Wann sollten wir vergeben – und wann nicht?

Grundsätzlich gilt: Wir müssen überhaupt nicht vergeben. Es ist jeder und jedem selbst überlassen, wie er oder sie mit einer Verletzung umgehen möchte. Wir können Aussprache suchen, Wiedergutmachung einfordern, Rache üben, indem wir zum Beispiel anderen von der Ungerechtigkeit erzählen, – oder eben Vergeben: All dies sind valide Reaktionen auf eine Verletzung. Es kann allerdings verschiedene Gründe geben, wieso Vergeben in bestimmten Situationen sinnvoll sein kann – aber auch Situationen, in denen wir vorsichtig sein sollten, allzu schnell in den Vergebungsprozess zu starten.

Studien zeigen, dass Vergeben zu einem verbesserten subjektiven Wohlbefinden und niedrigerem Stresserleben beitragen kann. Das Festhalten an und Anstauen von negativen Emotionen und Vorwürfen kann sehr energieraubend und belastend sein. Durch das Loslassen können wir innerlich “aufräumen” und es entsteht Raum für neue, positive Erfahrungen und Emotionen. Es führt außerdem dazu, dass wir eine gewisse Kontrolle zurückgewinnen können: Indem wir uns aktiv und bewusst von der Verletzung lösen und nach vorne schauen, nehmen wir unser eigenes Glück selbst in die Hand, statt uns von einem Ereignis steuern zu lassen, dessen (passives) Opfer wir geworden sind. 

Vergeben kann jedoch auch eine Kehrseite haben: (Zu) schnelles oder häufiges Vergeben kann nämlich auch dazu führen, dass schwierige oder sogar toxische Beziehungen aufrechterhalten werden. Man stelle sich zum Beispiel ein Paar vor, bei dem die Partnerin ihr Gegenüber – trotz ständiger Änderungsversprechen – immer wieder betrügt. In dieser Situation sollte ihr Partner wohl irgendwann besser auf den Tisch hauen und Konsequenzen ziehen, statt ihr immer wieder zu vergeben. 

Häufig sind es Personen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl, denen es schwerfällt, ihre eigenen Grenzen zu verteidigen und für ihre Bedürfnisse einzustehen. Sie tendieren dazu, angemessene Emotionen wie Wut und Gekränktheit als Reaktion auf solche Verletzungen zu unterdrücken und ihre eigentliche Konfliktscheue und Überanpassung hinter angeblicher Vergebung zu verstecken. Eine solche “Pseudovergebung” ist aber nicht nur für die betreffende Person, sondern auch für die Beziehung schlussendlich ungesund: Die Grenzen der verletzten Person werden immer wieder überschritten und die unterdrückten emotionalen Reaktionen werden sich weiter anstauen. Eine gesunde Beziehung ist auf dieser Basis nicht möglich. In solchen Fällen sollte man in trennende Emotionen wie Wut hineinspüren, statt sich direkt in den Vergebungsprozess zu stürzen. Dies kann einem die nötige Kraft geben, wichtige Konsequenzen zu ziehen und für die eigenen Bedürfnisse einzustehen. 

Auch im Zusammenhang von Eltern-Kind-Beziehungen ist Vergebung nicht schwarz-weiß: Kinder haben in der Regel einen hohen Anspruch, ihren Eltern zu vergeben, da sie auf die Beziehung angewiesen sind. Im Versuch, die Beziehung zu stabilisieren, übernehmen Kinder also häufig die Verantwortung für das Verhalten ihrer Eltern und dafür, dass die Beziehung gelingt. Auch hier besteht also die Gefahr, dass nur vergeben wird, um eine Beziehung aufrechtzuerhalten oder zu verbessern. In solchen Fällen ist es wichtig, sich erst mit den schmerzhaften Gefühlen auseinanderzusetzen und die Verantwortung den Eltern zurückzugeben.

Um die Entscheidung, ob Vergeben sinnvoll ist, im Einzelfall zu treffen, sollte man also gut in sich hineinspüren und sich fragen, welche Motive einen gerade zur Vergebung treiben. Möchten wir alte Verletzungen loslassen, um uns von altem Ballast zu befreien und nach vorne zu gucken, kann Vergebung eine gute Strategie sein. Wenn wir allerdings nur vergeben wollen, um Konflikte oder Trennungen zu vermeiden, sollten wir genauer hingucken.

4 Schritte des Vergebens

Aber was nun, wenn wir uns entschieden haben, vergeben zu wollen? Grundsätzlich gilt: Vergebung ist ein nicht linearer Prozess, der langwierig und zeitweise sehr schmerzhaft sein kann. Er kann bei jeder Person anders aussehen und es ist dabei wichtig, immer wieder in sich hineinzuspüren. Für einen erfolgreichen Vergebungsprozess können jedoch (in Anlehnung an das Modell des Psychologen Robert Enright) besonders die folgenden Schritte wichtig sein:

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Lass Gefühle zu

Als Erstes müssen wir die Gefühle, die durch die Verletzung ausgelöst wurden, bewusst durchleben. Das erfordert auch, dass wir hinter die emotionalen Fassaden blicken, die wir uns möglicherweise zum Selbstschutz aufgebaut haben. Werden wir gekränkt oder verletzt, werden wir zum Beispiel oftmals erst wütend: Wut verleiht uns nämlich ein Gefühl von Stärke und Kontrolle. Dies ist leichter auszuhalten als Gefühle wie Trauer oder Enttäuschung, bei denen wir uns eher klein und schwach fühlen. Nur wenn wir hinter diese Fassade blicken und uns bewusst mit der zugrundeliegenden Emotion beschäftigen, können wir diese schließlich auch loslassen. Hier ist es auch wichtig, der Person, die uns verletzt hat, die Verantwortung für ihr Verhalten zuzuweisen und uns davon abzugrenzen.

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Reflektiere deinen eigenen Anteil

Um die Situation angemessen einzuordnen, sollten wir aber auch unser eigenes Verhalten reflektieren. Haben wir selbst irgendwie zur Situation beigetragen? Haben wir einen eigenen Anteil daran, dass es uns schwer fällt, die Verletzung loszulassen – zum Beispiel, weil diese unsere eigenen Themen aktiviert hat? Welche Rolle spielt unsere Vergangenheit, welche der eigene Selbstwert? Projizieren wir frühere Verletzungen in die jetzige mit hinein? Bei diesem Schritt kann es helfen, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. 

Wichtig ist: Das bedeutet keinesfalls, dass wir Verantwortung für das Verhalten der anderen Person oder für die Verletzung und ihre Folgen übernehmen sollten. Wir sollten vielmehr versuchen zu trennen, wo die Verantwortung zu unserem Gegenüber gehört – und wo wir vielleicht bei uns selbst nochmal genau hinschauen sollten. Dies gilt außerdem nur für Beziehungen zwischen erwachsenen Personen: Bei Eltern-Kind-Beziehungen tragen die Kinder in keinem Fall Verantwortung.

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Wechsle die Perspektive

Hier versuchen wir, die Sicht der Person einzunehmen, die uns die Verletzung zugefügt hat. Aus welchen Gründen hat die Person so gehandelt? Steckt da vielleicht mehr dahinter, als auf den ersten Blick erkennbar ist? Welche Lebensthemen und Erfahrungen der Person haben vielleicht dazu geführt, dass ihr das verletzende Verhalten als die beste Option erschien?

Auch hier geht es nicht darum, das Verhalten der Person zu entschuldigen, gutzuheißen oder Verantwortung dafür zu übernehmen. Durch einen Perspektivwechsel kann es aber gelingen, mehr Verständnis und Empathie für das Gegenüber zu entwickeln. Das erleichtert es uns auch, das Geschehene so anzunehmen, wie es ist, und es irgendwann loszulassen.

Dieser Perspektivenwechsel funktioniert insbesondere bei kleineren oder mittelschweren Verletzungen gut. Bei sehr schweren Verletzungen, wie zum Beispiel bei emotionalem oder körperlichem Missbrauch, kann das eine Überforderung darstellen. In diesen Fällen sollte man auf jeden Fall professionelle psychotherapeutische Unterstützung hinzuziehen.

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Entscheide dich aktiv, zu vergeben und loszulassen

Letztlich gilt: Vergeben passiert nicht einfach so, sondern erfordert eine bewusste und aktive Entscheidung. Man muss sich also dazu entscheiden, wirklich loslassen zu wollen und die Tatsache akzeptieren, dass sich die Vergangenheit nicht mehr zum Besseren verändern lässt. Hierzu gehört auch, uns selbst bewusst zu machen, welche Vorteile das Loslassen für uns hat. Solange an Wut und Kränkung festgehalten wird, wird schließlich auch an der Verletzung festgehalten. In Fällen, wo kein Austausch mit der Person besteht, die uns verletzt hat, kann es auch helfen, sich bei einem Foto der Person “auszusprechen” oder einen Brief zu schreiben, der danach verbrannt wird.

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Was, wenn man nicht vergeben kann?

Wenn man auch nach langer Zeit nicht von alten Verletzungen und negativen Gefühlen loslassen kann, steckt meistens etwas anderes dahinter. In diesem Fall sollte man sich selbst fragen, was einen dazu motiviert, an der Kränkung festzuhalten. In der Regel liegt das daran, dass wir eines unserer Grundbedürfnisse akut bedroht sehen: Möglicherweise haben wir ein niedriges Selbstwertgefühl und werden somit durch jegliche Bedrohungen desselben übermäßig gekränkt. Durch das Festhalten haben wir das Gefühl, ein gewisses Maß an Kontrolle über den Ausgleich dieser Kränkung zu haben. Ein anderes Beispiel wäre, dass wir, nachdem wir betrogen wurden, unser Bindungsbedürfnis latent bedroht sehen, da wir im Innersten kein Vertrauen darin haben, dass eine sichere Bindung zum Partner oder zur Partnerin besteht. 


In diesem Fall ist es wichtig, dass wir zuerst mit unserem inneren Kind in Kontakt treten und uns um unsere zugrundeliegenden Bedürfnisse kümmern. Erst dann kann der Vergebungsprozess wirklich losgehen.

Fazit – alles kann, nichts muss

Vergeben kann helfen, alten emotionalen Ballast loszulassen, nach vorne zu blicken und somit das Wohlbefinden zu verbessern. In gewissen Fällen kann Vergeben aber auch eine Kompensationsstrategie sein, um Konflikten und Bedrohungen des Bindungsbedürfnisses aus dem Weg zu gehen. Daher ist es stets wichtig, sich zu fragen, welches Ziel man mit dem Wunsch nach Vergebung eigentlich verfolgt.