Sucht – was ist das und wie gehen wir damit um?

GEPRÜFT DURCH | STEFANIE STAHL & LUKAS KLASCHINSKI VERÖFFENTLICHT | 22.02.2023

Viele von uns trinken abends gern mal ein gutes Glas Wein (und auch mal eines über den Durst), in Deutschland raucht knapp ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung. Aber was, wenn wir ohne das Glas Wein abends nicht mehr abschalten können? Ist das noch Genuss oder schon Sucht? Was können wir tun, wenn eine Person in unserem Umfeld süchtig ist? Wir haben die wichtigsten Informationen und Antworten zu Sucht und zum Umgang mit Suchterkrankungen im persönlichen Umfeld zusammengefasst.

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Sucht erkennen

Wir alle streben ständig danach, Dinge zu erleben, die uns Spaß bereiten und Lust oder Genuss versprechen: Dies ist ein Grundbedürfnis des Menschen, das dafür sorgt, dass wir positive Emotionen erleben können. Dieses Bedürfnis hat aber auch eine Kehrseite: Es macht uns anfällig für Versuchungen, die sich kurzfristig zwar gut anfühlen, uns langfristig aber schaden. Wenn der Umgang mit solchen Versuchungen außer Kontrolle gerät, können wir eine Sucht entwickeln.  

Unter dem Begriff “Sucht” werden gemäß dem deutschen Bundesgesundheitsministerium alle riskanten, missbräuchlichen und abhängigen Verhaltensweisen in Bezug auf legale und illegale Suchtmittel sowie “nicht stoffgebundene Verhaltensweisen” zusammengefasst. Süchte bezeichnen also nicht nur klassische Substanzabhängigkeiten wie Alkohol- oder Drogensucht, sondern auch andere exzessive Verhaltensweisen wie zum Beispiel Sexsucht oder pathologischen Internetgebrauch. 

Gemäß der “Internationalen Klassifikation von Krankheiten” (ICD-11) ist eine Abhängigkeit durch drei Kernmerkmale gekennzeichnet. Erstens ist die Kontrolle über den Konsum beeinträchtigt. Auch wenn man sich zum Beispiel vorgenommen hat, heute mal nicht so viel zu trinken, wacht man am nächsten Tag doch mit einem schrecklichen Kater auf. Zweitens manifestiert sich die Sucht in bestimmten körperlichen Vorgängen: Man entwickelt eine Toleranz in Bezug auf den Suchtstoff – statt einem müssen wir plötzlich fünf Biere trinken, um angeschwipst zu werden –, und man zeigt Entzugssymptome, wenn der Konsum reduziert oder abgebrochen wird. Drittens wird der Konsum zur Priorität: andere Aktivitäten,  Interessen und soziale Verpflichtungen werden wegen des Konsums vernachlässigt. Wenn mindestens zwei dieser drei Merkmale über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr erfüllt sind, spricht man aus medizinischer Sicht von einer Sucht.

Vom Genuss zur Sucht – wie passiert das eigentlich?

Sucht entsteht also, wenn der Kontrollverlust über eine Substanz oder Verhaltensweise zu körperlichen, sozialen und persönlichen Schäden oder Problemen führt. Häufig beginnt dieser Prozess damit, dass das Verhalten oder die Substanz als Genuss gesehen wird. Dank des Belohnungssystems in unserem Gehirn werden Glückshormone ausgeschüttet, wenn wir etwas erleben oder konsumieren, was wir als Genuss empfinden. Ganz wesentlich ist dabei Dopamin: Der als “Botenstoff des Glücks” bekannte Neurotransmitter sorgt dafür, dass der momentane Glücksrausch nicht einfach verpufft, sondern bestimmte Emotionen sowie Denk- und Verhaltensmuster ausgelöst werden, die uns zur Wiederherstellung dieses Glücksrauschs antreiben. Problematisch wird es, wenn der Dopaminrausch zum Dauerzustand und der gewohnte Anreiz durchgehend gefordert wird. So wird der Konsumprozess bzw. das problematische Verhalten nämlich automatisiert und vom Genuss zu einer Notwendigkeit. Das Resultat dieses Prozesses: Sucht. 

Kritisch ist exzessives Konsumverhalten zudem insbesondere dann, wenn es als Mittel zum Zweck genutzt wird, um negative Gefühle zu überdecken. So entwickelt sich eine Assoziation zwischen dem Ausbleiben des negativen Gefühls und dem Konsum und man wird in der Annahme bestärkt, dass man das Gefühl nur durch weiteren Konsum bewältigen kann.

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Was geht in uns vor, wenn wir süchtig sind?

Grundsätzlich werden zwei Dimensionen der Sucht unterschieden: Körperliche und psychische Abhängigkeit. Von einer körperlichen Abhängigkeit spricht man, wenn körperliche Mangelerscheinungen auftreten, sobald das Level der Substanz im Körper bzw. das Ausmaß des Verhaltens unter das gewohnte Niveau fällt. Der Körper gewöhnt sich also daran, dass ständig konsumiert wird und leitet daraus einen neuen Status quo ab. Psychische Abhängigkeit heißt, dass sich eine sehr starke Gewohnheit des Konsumverhaltens ausbildet. Das passiert, indem das Gehirn wiederholt den Konsum oder das Verhalten mit positivem Empfinden verknüpft. Mit jeder zusätzlichen Erfahrung verfestigt sich diese Verknüpfung, bis wir schließlich die Annahme verinnerlichen, dass wir dieses positive Empfinden nur noch mit dem Konsum erreichen können.

Der Übergang zwischen körperlicher und psychischer Abhängigkeit kann jedoch fließend sein. Der Psychologe Gene Hayman argumentierte in diesem Sinne, dass Sucht keine körperliche Krankheit sei, sondern vielmehr eine Störung des willentlichen Entscheidungsverhaltens (oder auf Englisch eine “disorder of choice”): Während sich eine krebserkrankte Person nicht gegen die Krankheit entscheiden kann, entscheiden sich viele Suchterkrankte an einem gewissen Punkt in ihrem Leben dafür, das Suchtverhalten einzustellen. Hayman stellt die These auf, dass diese Entscheidung getroffen wird, sobald die negativen Konsequenzen des Suchtverhaltens über die positiven Empfindungen überwiegen. Wenden sich beispielsweise aufgrund der Sucht Angehörige von einem ab oder stellt man große körperliche Schäden fest, kann einen das dazu befähigen, mit dem Konsum aufzuhören. Trotzdem relativiert dies nicht die massiven körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen, die eine Sucht und der Prozess des Abstinentwerdens mit sich bringen kann.

Wer eher süchtig wird – und wer nicht

Studien zeigen, dass es bei der Suchtenwicklung gewisse Risiko-, aber auch Schutzfaktoren gibt. Diese sind selbstverständlich nie alleine dafür verantwortlich, dass eine Sucht (nicht) entwickelt wird, können uns dabei aber eher im Weg stehen bzw. uns unterstützen.

Ein wichtiger Risikofaktor ist die soziale Einbettung: Ist es beispielsweise im Freundeskreis völlig normal, sich jedes Wochenende bis zum Filmriss zu betrinken, sind wir einem höheren Risiko ausgesetzt. Auch eine instabile Bindung zu den Eltern, fehlende Regeln und Normen sowie Missbrauchs- und Gewalterfahrungen erhöhen das Risiko der Suchtentwicklung. Umgekehrt sind Schutzfaktoren zum Beispiel ein stabiles Selbstwertgefühl, eine gute Bindung zu den Eltern, in der Normen und Regeln angemessen vermittelt wurden; Aufklärung über Suchtmittel sowie gute Konfliktlösefähigkeiten. 

Bei gewissen Substanzabhängigkeiten geht man zudem davon aus, dass sie durch eine genetische Komponente mitbedingt werden. Dazu gehört zum Beispiel Alkohol. Auch gewisse körperliche Eigenschaften können die Entwicklung einer Sucht begünstigen: So haben Personen, welche Nikotin schnell verstoffwechseln, eine höhere Anfälligkeit für eine Nikotinsucht, während Personen mit einem langsamen Nikotinstoffwechsel auch jahrelang “Partyraucher:innen” sein können, ohne ein Suchtverhalten zu entwickeln.

Ich glaube, ich bin süchtig! Was nun?

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Obwohl ein beachtlicher Teil der Bevölkerung von Suchterkrankungen betroffen ist, sind diese nach wie vor mit viel Stigma behaftet. Daher kann es für Betroffene sehr schwierig sein, offen mit der Erkrankung umzugehen und sich Hilfe zu suchen. Wer glaubt, eine Sucht entwickelt zu haben, kann sich bei der bundesweiten Sucht- und Drogenhotline unter 01806 313031 rund um die Uhr beraten lassen. Auch die Hausärztin oder der Hausarzt kann eine erste Anlaufstelle sein. Auf verschiedenen Internetseiten stehen außerdem kostenlose Tests zur Verfügung, die eine Einschätzung des eigenen Suchtverhaltens anbieten.

Die Behandlung von Süchten kann sehr unterschiedlich sein: Neben entgiftenden Behandlungen oder Substitutionstherapien können auch Psychotherapie oder Gruppenangebote sehr hilfreich sein. Gerade wenn die Sucht der Überdeckung tieferliegender Symptome dient, ist psychotherapeutische Hilfe zentral. 

Umgang mit Suchterkrankten – Tipps für Angehörige, Freunde und Partner:innen

Millionen von Menschen in Deutschland leiden unter einer Sucht; mehrere hunderttausende sterben jährlich an Suchtfolgen. Sucht wird also im Verlauf des Lebens bei fast allen von uns zum Thema – ob als Betroffene, oder weil wir in unserem Umfeld Personen haben, die an einer Sucht leiden. Wir haben für euch die Antworten auf drei wichtige Fragen zum Umgang mit Suchterkrankungen im eigenen Umfeld zusammengefasst.

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Wie kann ich eine mir nahestehende Person überzeugen, auf das Suchtmittel zu verzichten?

Wichtig ist erstmal, sich bewusst zu machen, welches Ziel man mit diesem Überzeugungsversuch verfolgt. Dabei geht es nämlich oft nicht nur darum, dem Gegenüber zu helfen, sondern darum, unsere eigenen damit verbundenen Emotionen zu bewältigen. Sucht ist letztendlich ein selbstschädigendes Verhalten, das in uns einerseits eine starke Sorge um die uns nahestehende Person und ihr Wohlbefinden, andererseits ein Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht auslösen kann. Indem wir aktiv werden und versuchen, die Person von ihrem Verhalten abzubringen, meinen wir, dieser Ohnmacht etwas entgegensetzen zu können. Wir bekommen subjektiv ein Gefühl von Kontrolle zurück. 

Kontrolle ist eines unserer Grundbedürfnisse und dieser Impuls ist somit absolut nachvollziehbar. Trotzdem rennen wir mit diesen Überzeugungsversuchen häufig gegen eine Wand oder machen die Situation sogar schlimmer: Der Erwartungsdruck kann nämlich auch dazu führen, dass sich das Gegenüber in seinem Autonomiebedürfnis bedroht sieht und umso mehr auf seinem Verhalten beharrt. So führen unsere Ratschläge und Argumente, die eigentlich in Sorge gründen und nur gut gemeint sind, zu einem Machtkampf und einer Verhärtung der Beziehung. 

Die einfache Antwort auf die Frage ist also: Gar nicht. Wir müssen also akzeptieren, dass wir die Verantwortung für das Verhalten unseres Gegenübers weder übernehmen sollen noch können. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als bei uns selbst anzusetzen – aber wie?

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Wie gehe ich damit um, wenn eine mir nahestehende Person nicht von ihrer Sucht loskommt?

Wichtig ist erstmal, dass wir uns bewusst machen, was die Erkrankung der uns nahestehenden Person in uns auslöst. Meist ist dies zum einen Angst: Wir haben Angst um die Gesundheit der anderen Person und in der Folge auch um die Bindung. Zum anderen ist dies das Gefühl der Hilflosigkeit. Um diese Gefühle zu bewältigen, ist es entscheidend, dass wir sie erstmal zulassen und bewusst spüren. Gerade in Eltern-Kind-Beziehungen oder anderen langjährigen Beziehungen können sich da über die Zeit viele schmerzhafte Gefühle und Erfahrungen angestaut haben. Indem wir uns den Gefühlen von Angst und Hilflosigkeit aussetzen, können wir auch eine gewisse Emotionstoleranz aufbauen.  

Im zweiten Schritt müssen wir uns bewusst machen, dass wir keine Verantwortung für das Verhalten der anderen Person tragen. Der Psychologe Alfred Adler sprach diesbezüglich vom “Prinzip der radikalen Aufgabentrennung”: Wir sind für unser eigenes Verhalten verantwortlich, aber nicht für das anderer Personen; das gleiche gilt für unser Gegenüber. Letzten Endes müssen wir akzeptieren, dass jede Person das Recht hat, zu leben, wie sie will – auch, wenn es ihr selbst schadet.
Letztlich können wir uns auch fragen, ob wir in unserem Umgang mit der Sucht der uns nahestehenden Person eigene Muster bedienen: Vielleicht ziehen wir eine Selbstwertbestätigung daraus, ständig für die andere Person da zu sein und wissen gar nicht genau, wer wir ohne dieses Muster eigentlich sind. In diesem Fall wäre es wichtig, sich dieses Musters bewusst zu werden, es zu durchbrechen und an der Stabilisierung unseres Selbstwerts zu arbeiten.

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Darf ich den Kontakt mit einer mir nahestehenden Person abbrechen, die ein Suchtproblem hat?

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Die einfache Antwort auf eine schwierige Frage lautet: Ja. Auch hier gilt das Prinzip der Aufgabentrennung. Wenn uns der Kontakt mit der betroffenen Person nicht gut tut und keine Aussicht auf eine Veränderung besteht, ist es wichtig, dass wir uns davon abgrenzen. Schließlich gilt unsere Verantwortung in erster Linie uns selbst und unseren Bedürfnissen, nicht dem Problem der anderen Person. Oftmals ist es eher eine innere Abgrenzung, die wir brauchen, um unsere Emotionen bewältigen zu können. Äußere Grenzen können uns diese innere Abgrenzung jedoch erleichtern. In einer solchen Situation kann ein Kontaktabbruch eine richtige und wichtige Lösung sein. 

Anlaufstellen 

Im Notfall:
Polizei 110 
Rettungsdienst 112
TelefonSeelsorge Deutschland
Per Telefon 0800 / 111 0 111 , 0800 / 111 0 222 oder 116 123 Per Mail und Chat unter online.telefonseelsorge.de
Bundesweite Sucht & Drogen Hotline
Telefon: 01806 313031
Suchthilfeverzeichnis der deutschen Hauptstelle für Suchtfragen:

https://www.dhs.de/service/suchthilfeverzeichnis

Kreuzbund: Beratung und Vermittlung von Selbsthilfegruppen für Suchtkranke und Angehörige https://www.kreuzbund.de/de/
Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen 
Per Telefon 030 – 31 01 89 60

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