Kennst du das Gefühl, wenn sich ein flaues Gefühl im Magen bemerkbar macht und du weißt, dass es Schuldgefühle sind, die dich plagen? Wir alle haben diese Momente erlebt, in denen wir uns selbst die Schuld für etwas geben und uns von einem Strudel negativer Gedanken verschlucken lassen. Aber warum sind wir oft so streng mit uns selbst? Warum können wir nicht einfach nett und wohlwollend zu uns sein? In diesem Blogbeitrag werden wir tiefer in dieses Thema eintauchen und überlegen, warum wir so hart mit uns selbst ins Gericht gehen und wie wir möglicherweise freundlicher mit uns selbst umgehen können.
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Schuldgefühle sind nicht gleich Schuldgefühle. Manche sind gerechtfertigt, andere nicht. Auf der einen Seite gibt es reale/situative Schuldgefühle und auf der anderen irreale/chronische/übermäßige Schuldgefühle.
Reale, situative Schuldgefühle sind konstruktiv und zeigen uns Grenzen beziehungsweise die Verletzung einer Norm auf. Diese Schuldgefühle können ein Signal dafür sein, dass man seine Handlungen reflektiert und bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Man reflektiert: Was war meine tatsächliche Verantwortung in der Situation? Was konnte ich wissen? Was war meine Absicht? Was war mein Entscheidungsspielraum? Und wenn man sich einen Fehler eingestehen muss, kann man damit umgehen und nach Lösungen suchen, ohne sich dabei global abzuwerten. Nach dem Motto “Ich bin kein schlechter Mensch, sondern ich habe eine schlechte Entscheidung getroffen”.
Irreale, chronische und übermäßige Schuldgefühle plagen und peinigen einen und sind der Situation eigentlich gar nicht angemessen. Man schließt von spezifischen Situationen auf sich als allgemeine Person. Zum Beispiel: „War ja klar, dass ich den Termin vergesse, weil ich einfach zu blöd für diesen Job und für alle bei der Arbeit nur eine Last bin“. Es geht häufig gar nicht mehr um die Tat an sich, sondern um die Verurteilung der gesamten Person.
Häufig beurteilt man die Situation in der Vergangenheit mit dem Wissen der Gegenwart („Ach hätte ich doch nur…“). Diese Art der Schuldgefühle ist destruktiv und entsteht unreflektiert. Man fragt sich eben nicht: Was war meine tatsächliche Verantwortung in der Situation? Was konnte ich wissen? Was war meine Absicht? Was war mein Entscheidungsspielraum?
In der Psychoanalyse unterscheidet man zwischen einem archaischen und einem integrierten Über-Ich, welches die Moral und das Gewissen darstellt. Das integrierte Über-Ich ist äquivalent zu den realen Schuldgefühlen und funktioniert durch Selbstreflexion. Es ist nicht gnadenlos, sondern eher wie ein Gesprächspartner im eigenen Selbst. Ein inneres Gegenüber, das uns selbst zwar kritisch beobachtet, dabei aber gutmütig ist: Meinst du, das war wirklich okay? Solltest du nicht um Entschuldigung bitten? Möchtest du das wirklich? Welche Konsequenzen hätte das für dich? Dadurch führt es zu einem konstruktiven Schuldgefühl, das es uns ermöglicht, über unser Tun nachzudenken und Verantwortung zu übernehmen. Der archaische Teil ist äquivalent zu den irrealen Schuldgefühlen. Es unterwirft das eigene Ich strengen Vorschriften von richtig und falsch und duldet keine Mehrdeutigkeit oder Ambivalenzen. Es ist destruktiv und funktioniert erst durch Selbstzwang und Anpassung.
Schuld: Hierbei handelt es sich um eine externe und versucht objektive beziehungsweise begründete Zuweisung von Schuld. Beispielsweise kann man in einer rechtlichen Dimension von Schuld für etwas schuldig gesprochen werden. Man kann für etwas für schuldig befunden zu werden, ohne Schuldgefühle zu haben. Gleichzeitig kann man auch durch etwas Schuldgefühle hegen, für das andere einen nicht als schuldig ansehen würden.
Schuldgefühle: Meint den subjektiven Eindruck und die Bewertung darüber, ob man an etwas Schuld hat. Es bezieht sich eigentlich auf ein spezifisches Vergehen bzw. auf eine Norm, die wir erlernt und anschließend verletzt haben. Man weiß, dass man anders hätte handeln können. Deswegen sind übermäßige Schuldgefühle häufig so belastend. Es entsteht der Eindruck, dass etwas wieder gut gemacht werden muss, was oft aber nicht möglich ist. Schuldgefühle können sowohl bewusst als auch unterbewusst aufkommen. Das ganze ist sehr ähnlich zum schlechten Gewissen. Übermäßige Schuldgefühle sind ein ICD-10 Kriterium für Depression, werden also für die Diagnose einer Depression einbezogen. Es gibt aber keinen objektiven Standard für Schuldgefühle. Alle Menschen fühlen sich in anderen Situationen schuldig, da alle unterschiedlich sozialisiert wurden und so unterschiedliche Dinge als Grenzüberschreitung empfinden. Das Schuldgefühl bedeutet, dass wir gesellschaftliche Werte in uns tragen. Es ist wie eine innere Stimme, die sich auch dann meldet, wenn es keine Zeugen für eine Tat gibt.
Scham: Etwas allgemeiner als Schuldgefühle verhält es sich mit der Scham. Sie entsteht durch ein allgemein schlechtes Selbstwertgefühl und durch eine permanent schlechte Bewertung der eigenen Person. Scham entsteht häufig, ohne dass etwas objektiv Schlimmes passiert ist. Während wir bei der Schuld eine Norm verletzen, geht es bei Scham eher um unsere Würde. Wir haben Angst, dass andere Menschen entdecken, dass wir etwas falsch gemacht haben und uns anschließend schlecht bewerten. Man hat dabei nicht unbedingt das Gefühl, dass man aktiv hätte anders handeln können.
Die soziale Funktion von Schuldgefühlen ist, die Moralität aufrechtzuerhalten und soziale Normen einzuhalten. In Schuldgefühlen stecken die Normen unserer Gesellschaft und unseres sozialen Rahmens, insbesondere der Familie und des Freundeskreises. Schuldgefühle halten uns davon ab, sich diesen Normen zu widersetzen und binden uns also stärker an unser soziales Gefüge. Das Schuldgefühl ist wie ein Warnsystem, das uns davor bewahrt, ausgestoßen zu werden.
Schuldgefühle sind wichtig zur Selbstregulation, denn sie können dazu beitragen, unser Verhalten zu regulieren. Sie können uns dazu motivieren, über unser Handeln nachzudenken und dadurch aus unseren Fehlern zu lernen.
Eine individuelle Funktion der Schuld ist die Kontrollillusion. Schuld gibt uns das Gefühl, dass wir es anders hätten machen können. Das mag zunächst eher destruktiv klingen, aber das Wissen, es anders oder besser machen zu können, gibt uns Kontrolle. Kontrolle ist ein Grundbedürfnis und wir wollen alle das Gefühl haben, wichtige Dinge in unserem Leben beeinflussen zu können. Schuldgefühle sind somit eine Kontrollillusion. Wir haben die scheinbare Kontrolle darüber, dass sich solche Situationen nicht wiederholen.
In unserem emotionalen Universum gibt es Gefühle, die wir leichter ertragen können als andere. Glück und Freude bringen uns zum Strahlen, während Wut uns oft antreibt, aktiv zu werden und etwas zu ändern. Doch dann gibt es diese passiven Gefühle, wie Traurigkeit oder Schuldgefühle, die uns in ihrer Passivität gefangen halten. Wir können nicht aktiv gegen sie vorgehen, was uns das Gefühl des Kontrollverlustes vermittelt.
Schuldgefühle sind ein besonders belastendes Gefühl. Sie belasten nicht nur unsere Emotionen, sondern haben auch extreme Auswirkungen auf unsere psychische und soziale Gesundheit. Von außen betrachtet können sie zu einem Verlust des Vertrauens anderer führen und uns in die soziale Isolation treiben. Innerlich leiden unser Selbstwertgefühl und unsere Identität, da wir das Gefühl haben, gegen moralische und ethische Grundsätze verstoßen zu haben. Es entsteht ein innerer Konflikt, der unser Selbstbild negativ beeinflusst.
Oft versuchen wir, unsere Schuldgefühle durch Wiedergutmachung zu lindern. Doch besonders bei übermäßigen Schuldgefühlen ist dies schwierig, da sie oft nicht im Verhältnis zur Situation stehen. Wir haben das Verlangen, etwas gutzumachen, obwohl es vielleicht gar nichts gibt, was gutzumachen wäre. Dies führt zu einer kognitiven Dissonanz, einem unangenehmen Gefühlszustand, der durch nicht vereinbare Wahrnehmungen, Meinungen oder Gedanken entsteht.
Schuldgefühle sind nicht nur ein häufiges Symptom von Depression, sondern machen sich oft schon in frühen Stadien bemerkbar. Selbst bei einer leichten Depression können Schuldgefühle präsent sein und mit Gedanken über die eigene Wertlosigkeit einhergehen. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Depressionen, da sie zu einer negativen Selbstbewertung führen. Die betroffene Person beginnt, sich selbst stark zu kritisieren, was zu einem negativen Selbstbild und einem geringen Selbstwertgefühl führt – beides klassische Merkmale von Depressionen.
Um den quälenden Schuldgefühlen zu entkommen, neigt die Person oft zu Vermeidungsverhalten. Sie zieht sich zurück, isoliert sich sozial und vermeidet positive Erlebnisse und Interaktionen. Dies verstärkt den Rückzug noch weiter, da man keine Erfahrungen macht, die ihre Annahmen über die eigene Schuld widerlegen könnten. Ein Teufelskreis entsteht, da das Vermeidungsverhalten die Depression verstärkt und die Fähigkeiten der Stressbewältigung beeinträchtigt.
Zusätzlich zu diesem Vermeidungsverhalten leiden Betroffene oft unter negativen Denkmustern und exzessivem Grübeln über ihre vermeintlichen Fehler. Dieses endlose Kreisen um die eigenen Gedanken verstärkt die Depression weiter und beeinträchtigt die Fähigkeit der Person, mit Stress umzugehen.
Schuldgefühle unterscheiden sich von den grundlegenden, universellen Basisemotionen, die wir von Geburt an erleben. Basisemotionen wie Angst, Freude, Traurigkeit, Wut, Überraschung und Ekel sind in allen Kulturen und Altersgruppen vorhanden – sogar Säuglinge können sie empfinden. Im Gegensatz dazu sind Schuldgefühle erlernt. Babys fühlen sich nicht schuldig. Es ist erst im Alter von etwa 2-3 Jahren, wenn wir ein „Ich-Bewusstsein“ entwickeln und anfangen zu verstehen, was „in Ordnung“ und was „nicht in Ordnung“ ist, dass wir Schuldgefühle erleben. Sie entstehen in der Interaktion mit unseren Bezugspersonen und sind eigentlich Gedanken, keine reinen Gefühle.
Schuldgefühle erlernen wir in unserer Kindheit. Wenn sich zum Beispiel die Eltern häufig streiten, kann es sein, dass ein Kind sich dafür schuldig fühlt und das sogar unabhängig von Schuldzuweisungen durch die Eltern. Die Tendenz zu übermäßigen Schuldgefühlen entwickelt sich durch strenge Glaubenssätze, die wir erlernt haben. Dabei prägen uns familiäre Konflikte sowie der Umgang mit unseren Eltern. Man kann die alten Glaubenssätze aus der Kindheit hinterfragen und evaluieren. Außerdem kann es auch helfen, die Motive unserer Eltern zu hinterfragen. Oft sind sie überfordert oder fühlen sich selbst schuldig. Das ist weder eine Entschuldigung, noch unsere Verantwortung zu identifizieren, aber es kann uns helfen, unsere eigene Biografie besser zu verstehen.
Auch, wenn unsere Kindheit häufig das Fundament für unser Schuldgefühl legt, können sich natürlich auch später noch Schuldgefühle entwickeln oder bereits bestehende verstärken. Oftmals sind hierfür Unstimmigkeiten zwischen unserem Wunsch-Ich (so wäre ich gern), Soll-Ich (so sollte ich sein) und Bin-Ich (so bin ich) verantwortlich. Diese verschiedenen Vorstellungen davon, wie wir gerne sein wollen oder glauben sein zu müssen, entspringen den Erwartungen unserer selbst, aber auch Erwartungen von außen, z.B. durch die Gesellschaft, Familie oder den Freundeskreis. Manchmal haben wir hohe Erwartungen an uns selbst, bekommen diese von außen auferlegt oder wünschen uns eigentlich anders zu sein. Weichen Soll-Ich und Wunsch-Ich stark von unserem Bin-Ich ab, kann das frustrieren und zu Schuldgefühlen sich selbst und anderen gegenüber führen. Dafür hilft es, sich in Selbstakzeptanz und Selbstmitgefühl gegenüber dem Bin-Ich zu üben.
Perfektionismus: Man setzt sich hohe Ansprüche und erwartet viel von sich selbst, was häufig dazu führt, dass man diesen Ansprüchen nicht gerecht werden kann.
Geringes Selbstwertgefühl und Selbstzweifel: Man sieht sich oft als minderwertig im Vergleich zu anderen und nimmt an, dass Probleme hauptsächlich bei sich selbst liegen, anstatt auch externe Faktoren zu berücksichtigen.
People Pleasing: Man neigt dazu, anderen gefallen zu wollen und legt großen Wert darauf, Regeln, Normen, Ethik und Moral einzuhalten. Dies kann zu einem zwanghaften Verhalten führen, das durch bestimmte biografische Erfahrungen geprägt sein kann.
Neubewertung aus einer anderen Perspektive: Ein sicheres Zeichen für ein zu straffes Regelwerk ist, wenn wir eine Situation neu betrachten und plötzlich feststellen, dass sie gar nicht so schlimm ist, wenn wir sie aus der Sicht einer anderen Person sehen. Indem wir uns vorstellen, dass jemand anderes sich genauso verhält wie wir, können wir erkennen, ob unsere eigenen Normen zu streng sind.
Feedback einholen: Es ist wichtig, Vertrauenspersonen in unsere Sorgen einzuweihen und sie um ihre Perspektive zu bitten. Dadurch erhalten wir Einblicke von außen, die uns helfen können, unsere Selbstwahrnehmung zu korrigieren und herauszufinden, ob unsere Schuldgefühle gerechtfertigt sind.
Bewältigungsfähigkeiten überprüfen: Frage dich, ob dich die Schuldgefühle übermäßig belasten und dein tägliches Leben beeinträchtigen. Wenn ja, könnte es sein, dass du deine Bewältigungsfähigkeiten stärken musst, um besser mit diesen Gefühlen umgehen zu können.
Reflexion über Schuldgefühle: Untersuche, welche Schuldgefühle tatsächlich mit deinem Verhalten zusammenhängen und welche mit deiner persönlichen Identität. Manchmal neigen wir dazu, uns selbst für Dinge zu verurteilen, die außerhalb unserer Kontrolle liegen oder die nichts mit unserem Wesen als Person zu tun haben.
Langfristig eine gesunde Verantwortung zu übernehmen, ohne in übermäßige Schuldgefühle zu geraten, erfordert ein bewusstes und einfühlsames Herangehen an unser Handeln und die daraus resultierenden Konsequenzen. Hier sind einige Ansätze, die dabei helfen können:
1
Setze realistische Erwartungen an dich selbst. Niemand ist perfekt, und es ist wichtig zu akzeptieren, dass Fehler passieren und Teil des Lernprozesses sind.
2
Nimm dir Zeit für Selbstreflexion und versuche, deine Handlungen aus einer neutralen Perspektive zu betrachten. Dabei kann es hilfreich sein, Feedback von vertrauenswürdigen Personen einzuholen, um eine objektivere Sichtweise zu erhalten.
3
Erlaube dir selbst, Fehler zu machen, ohne dich dafür übermäßig zu verurteilen. Sie sind eine natürliche und unvermeidliche Folge des Lebens. Wichtig ist, aus ihnen zu lernen und sie als Gelegenheit zur persönlichen Weiterentwicklung zu nutzen.
4
Sei freundlich und mitfühlend zu dir selbst, besonders in Momenten, in denen du dich schuldig fühlst. Erinnere dich daran, dass du auch nur ein Mensch bist und dass es wichtig ist, dir selbst die gleiche Güte zu zeigen, die du anderen entgegenbringt.
5
Lerne, klare Grenzen zu setzen und Verantwortung nur für die Dinge zu übernehmen, die tatsächlich in deinem Einflussbereich liegen. Es ist nicht notwendig oder gesund, sich für alles verantwortlich zu fühlen, was in deiner Umgebung geschieht.
6
Wenn du Schwierigkeiten hast, mit Schuldgefühlen umzugehen, zögere nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine Therapie kann dir dabei helfen, gesunde Bewältigungsstrategien zu entwickeln und deine Selbstwahrnehmung zu stärken.
Indem du diese Ansätze in deinen Alltag integrierst, kannst du langfristig lernen, Verantwortung auf eine gesunde und ausgewogene Weise zu übernehmen, ohne dich selbst mit übermäßigen Schuldgefühlen zu belasten.
Wenn du deine persönliche Entwicklung noch intensiver fördern und hinderliche Glaubenssätze auflösen möchtest, dann könnte dir der Kurs „Das Kind in dir muss Heimat finden“ der Stefanie Stahl Akademie helfen. Weitere Informationen findest du hier: