Wut, Trauer, Angst, Scham, Schuld, Ekel, Eifersucht – wir allen kennen diese Gefühle, und zwar in verschiedensten Intensitäten. Negative Gefühle sind total normal und es ist auch ganz wichtig, sie zuzulassen. Aber was, wenn wir tagelang verzweifelt sind, weil unsere Freundin einen blöden Kommentar über unsere neue Frisur gemacht hat, oder wir vor einem Date nächtelang nicht schlafen können, weil wir Angst haben, uns zu blamieren? Sollten wir auch diesen Gefühlen glauben oder spielen sie uns eigentlich einen Streich? Und wie können wir es schaffen, negative Gefühle auch wieder loszulassen?
Wut, Trauer, Angst, Scham, Schuld, Ekel, Eifersucht: Negative Gefühle können sich ganz schrecklich anfühlen. Aber auch wenn wir sie am liebsten komplett vermeiden würden, sind sie ganz wichtig für uns: Sie geben uns nämlich ein Warnsignal, wenn eines unserer Grundbedürfnisse bedroht oder nicht erfüllt ist. Sie schützen uns also vor Gefahren und motivieren uns, etwas zu verändern, wenn wir uns in einer Situation befinden, die nicht gut für uns ist. Negative Emotionen sind also grundsätzlich genauso wichtig wie positive, und wir sollten sie daher auch genauso zulassen und spüren.
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Trotzdem gibt es Situationen, in denen wir unsere negativen Gefühle nicht ohne Wenn und Aber hinnehmen sollten – und wo sie uns vielleicht sogar an der Nase herumführen. In der Psychologie spricht man diesbezüglich von adaptiven (angemessenen) und maladaptiven (unangemessenen) Emotionen. Bei den adaptiven Emotionen passt unsere emotionale Reaktion von ihrer Art und Intensität zum Auslöser. Wenn wir von unserem Partner oder unserer Partnerin betrogen werden, ist es absolut angemessen, wenn wir darüber erstmal wütend und traurig sind. Diese Emotionen zuzulassen hilft uns dann auch dabei, das Geschehene zu verarbeiten. Bei maladaptiven Emotionen fehlt dieser klare Zusammenhang zwischen Ursache und Reaktion. Das äußert sich in der Regel in überschießenden emotionalen Reaktionen auf ein Ereignis, das objektiv gesehen gar nicht so wild war. Eine maladaptive Emotion wäre zum Beispiel, wenn wir einen riesigen Wutanfall kriegen, weil wir uns beim Essen versehentlich mit Tomatensauce bekleckert haben. Aber was steckt eigentlich hinter diesen übermäßigen Emotionen?
Hinter den maladaptiven Emotionen stecken ganz oft sogenannte Introjektionen und Projektionen. Diese Begriffe kommen ursprünglich aus der Psychoanalyse, werden heute aber in vielen verschiedenen Therapieansätzen verwendet.
Von einer Introjektion spricht man, wenn äußere Realitäten – zum Beispiel Annahmen, Werte oder Normen, die man von den Eltern oder in der Schule gelernt hat – verinnerlicht werden, so dass sie Teil des “Ichs” werden. Das klingt erstmal kompliziert, meint aber nur, dass wir etwas zu einem Teil von uns machen, was eigentlich gar nicht zu uns gehört. Eine Introjektion kann zum Beispiel sein, wenn wir unsere politische Anschauung von unseren Eltern übernehmen, ohne sie groß zu überdenken. Die verinnerlichten Annahmen nennt man dann “Introjekt”. Das Schattenkind – also die negativen Prägungen unseres inneren Kindes – und seine Glaubenssätze sind ebenfalls klassische Introjektionen. Wenn uns beispielsweise von unserer Mutter früher immer gesagt wurde, dass wir ein Nichtsnutz sind und wir daher heute den Glaubenssatz verinnerlicht haben, dass wir zu nichts gut sind, handelt es sich bei dieser Annahme um ein Introjekt.
Diese Introjektionen können wiederum oft zu Projektionen führen. Projektion bedeutet, dass wir etwas, was eigentlich zu uns selbst gehört, auf andere übertragen. Man unterstellt dem Gegenüber also gewisse Emotionen, Meinungen oder Verhaltensweisen, die aber eigentlich aus dem eigenen Selbst stammen. Die Projektion ist somit sozusagen das Gegenstück zur Introjektion.. Ein klassisches Beispiel für eine Projektion wäre, wenn eine Person, die sich aufgrund ihrer Schattenkind-Prägung leicht andern unterlegen fühlt, extrem verletzt auf die kleinste Kritik reagiert und ihrem Gegenüber sofort Dominanz und Aggression unterstellt. Statt zu sehen, dass sie selbst sensibel auf kritische Anmerkungen reagiert (also ein Unterlegenheitsgefühl introjiziert hat), projiziert sie dies auf die andere Person und unterstellt ihr, dass die sich ihr überlegen fühlt und einfach total arrogant ist. Wir reagieren übrigens häufig deshalb mit Projektion auf die Introjektion, da Projektion ein Schutzmechanismus für die durch die Introjektion verinnerlichten Annahmen sein kann. Projektionen dienen also oft der Aufrechterhaltung des Selbstbilds: Wenn die anderen schuld sind, kann ich ja schließlich nicht ich das Problem sein. Das entlastet das Selbstwertgefühl.
Ganz häufig lösen die Annahmen, die Introjektionen und Projektionen zugrunde liegen, sehr starke Emotionen in uns aus. Diese sind einerseits besonders schmerzhaft, da sie aus alten Wunden (und nicht aus der aktuellen Situation) herrühren. Andererseits werden wir durch die Introjektionen und Projektionen auch oft auf die falsche Fährte gelockt, wenn wir ein negatives Gefühl auflösen wollen: Wenn wir zum Beispiel aufgrund unserer Erziehung den Glaubenssatz verinnerlicht (also introjiziert) haben, dass wir nicht gut genug sind, werden wir ständig versuchen, “besser” zu werden – also noch mehr zu leisten, attraktiver und witziger zu sein, und, und, und –, um dieses negative Gefühl aufzulösen. Das wird aber nicht funktionieren, da der Glaubenssatz (und damit einhergehend das negative Gefühl) ja eben nicht zu uns, sondern zu unseren Eltern gehört. Nur wenn wir uns dessen bewusst werden und die Verantwortung unseren Eltern zurückgeben, können wir auch das negative Gefühl auflösen. Das Gleiche gilt für die Projektion: Auch hier können wir ein negatives Gefühl nur auflösen, wenn die Verantwortlichkeit am richtigen Ort liegt – diesmal gehört sie aber zu uns, und nicht zu unserem Gegenüber. Wenn wir uns vorgaukeln, dass ein Problem eigentlich bei unserem Gegenüber liegt und unseren eigenen Anteil nicht sehen, sind Konflikte oft sehr schwer aufzulösen.
Uns unserer Introjektionen und Projektionen bewusst zu werden, ist also ganz zentral, um herauszufinden, welche negativen Emotionen uns wichtige Hinweise zum Status unserer Bedürfnisse geben und welche nur von willkürlichen Prägungen konstruiert werden – und wie wir diese auflösen können. Aber wie können wir denn nun konkret feststellen, ob wir gerade von einer alten Prägung geleitet werden, oder ob wir uns auf unser Gefühl verlassen dürfen?
Tatsächlich kann es oft schwierig sein, zu unterscheiden, ob wir gerade von unserem Schattenkind gesteuert werden, oder ob es eine objektive Ursache gibt, zu welcher unsere Emotion in einem angemessenen Verhältnis steht. Es gibt übrigens auch Mischformen – oftmals werden Emotionen, die einen objektiven Auslöser haben, durch die Schattenkind-Prägungen einfach unverhältnismäßig verstärkt.
Das Wichtigste ist also, dass wir uns unserer Introjektionen bewusst werden. Wir müssen also erstmal herausfinden, welche negativen inneren Annahmen und Glaubenssätze aus der Kindheit auch heute noch häufig aktiviert werden. Man kann sich das vorstellen, wie eine Brille, durch die man die heutige Realität sieht: Nur wenn wir verstehen, wie sie geformt und gefärbt ist, können wir auch unseren heutigen Blick auf die Welt richtig interpretieren.
Um herauszufinden, welche negativen Glaubenssätze bei uns vorherrschen, kann es helfen, an vergangene Momente zurückdenken, wo wir ganz starke negative Emotionen gespürt haben. Vielleicht gibt es da ja auch solche, wo wir eigentlich selbst nicht ganz verstanden haben, wieso wir da so heftig reagiert haben. Das ist oft ein guter Hinweis darauf, dass das Gefühl aus einer alten Prägung – einer Introjektion – hergerührt hat. Wichtig ist, sich die Situation genau ins Gedächtnis zu rufen und dabei in sich hineinzuspüren. Welche Gefühle waren aktiviert? Welche Annahmen stehen dahinter? Kommen mir diese Gefühle und Annahmen vielleicht aus meiner Kindheit bekannt vor – habe ich diese vielleicht schon mal von meinen Eltern gehört?
Wenn man sich in einer konkreten Situation fragt, ob dies ein angemessenes Gefühl ist oder ob das Schattenkind am Werk ist, kann es auch helfen, eine Außenperspektive einzunehmen. Wir können uns zum Beispiel als unbeteiligte Richterin oder unbeteiligten Richter sehen, der oder dem dieser Fall zur Beurteilung vorgelegt wird. Diese rationale Außenperspektive ist deshalb so wichtig, weil in der Emotion zu sein ja auch immer bedeutet, dass man stark mit dem Gefühl identifiziert ist. Wenn man sich gerade im Moment total wertlos fühlt, ist die introjizierte Annahme für einen also gerade Realität. Wenn man jedoch aus dem Gefühl rausgeht und von außen auf die Situation guckt, gelingt es in der Regel ganz gut, zu unterscheiden, was zu einem selbst und was zur auslösenden Situation gehört.
Indem wir uns also unserer persönlichen Projektions-Brille bewusst werden, können wir unsere maladaptiven Emotionen also besser identifizieren und mit ihnen umgehen. Aber was, wenn es uns trotz allem total schwer fällt, einfach mal gut sein zu lassen und unsere negativen Emotionen loszulassen?
Negative Emotionen können uns total einnehmen. Und obwohl sie sich oft ganz furchtbar anfühlen, fällt es uns manchmal schwer, sie loszulassen. Häufig liegt das daran, dass wir – meist unbewusst – einen Vorteil darin sehen, an der Emotion festzuhalten. Man stelle sich zum Beispiel eine Beziehung vor, in der man eigentlich total schlecht behandelt wird. Diese Beziehung gibt uns zwar ein wahnsinnig schlechtes Gefühl: Wir fühlen uns nicht gut genug, klein und wertlos und können nichts richtig machen, egal was wir tun. Wenn wir diese Unzulänglichkeitsgefühle jedoch in die Wüste schicken und uns eingestehen würden, dass wir es nicht verdient haben, so behandelt zu werden, würde das konsequenterweise auch bedeuten, dass wir uns trennen müssen.
Wir haben also die Wahl, entweder die negativen Gefühle auszuhalten oder die Beziehung zu beenden. Gerade für Menschen mit Verlustangst scheint die erste Option dann oft wie das geringere Übel. Auch andere Motive wie zum Beispiel die Wahrung des eigenen Selbstbilds oder Loyalitätskonflikt in Bezug auf die eigenen Eltern können uns daran hindern, unsere Emotionen wirklich aufzulösen. Wenn wir also merken, dass wir es nicht schaffen, eine eigentlich unangenehme Emotion loszulassen, sollten wir genauer hingucken und uns selbstkritisch hinterfragen.
Umgekehrt gibt es jedoch auch Fälle, in denen negative Emotionen zu schnell losgelassen werden. Viele von uns haben gelernt, dass es wichtig ist, stets sofort zu verzeihen, wenn uns Unrecht getan wurde. Dieser Anspruch kann aber auch dazu führen, dass – eigentlich berechtigte! – Emotionen wie Wut und Frustration unterdrückt werden, obwohl es für die Verarbeitung eigentlich ganz wichtig wäre, sie zu spüren. Ein klassisches Beispiel ist der eigene Anspruch, den eigenen Eltern für das Unrecht, das man von ihnen in der Kindheit erfahren hat, zu verzeihen.
Auch wenn der Gedanke dahinter natürlich schön ist, reproduzieren wir damit häufig dieselben Muster, die uns eigentlich das Leben schwer machen: Wir übernehmen die Verantwortung dafür, dass unsere Beziehung zu unseren Eltern gelingt, statt für unsere eigenen Bedürfnisse einzustehen und Verantwortung zurückzugeben. Oft zeigt sich auch, dass das Verzeihen gar nicht mehr so eine große Rolle spielt, wenn die negativen Emotionen auch gespürt und verarbeitet wurden. Auch hier ist es also ganz wichtig zu merken, ob die Emotion dem Auslöser angemessen ist oder nicht, oder ob sie uns Hinweise darauf geben kann, was wir eigentlich brauchen.
Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass negative Emotionen ganz wichtig sind und Warnsignale dafür sein können, wenn die aktuelle Situation nicht dem entspricht, was wir brauchen. Diese Emotionen zu spüren und nicht zu verdrängen, ist ganz wichtig für unsere psychische und körperliche Gesundheit. Trotzdem sollten wir nicht immer glauben, was wir fühlen – einige Emotionen gehen nämlich nicht auf objektive Ursachen zurück, sondern sind vielmehr alte Wunden aus der Kindheit, die wir auf die heutige Realität projizieren. Diese zu erkennen ist wichtig, da sie oftmals ganz besonders schmerzhaft sind, uns aber auch beim Führen glücklicher Beziehungen im Weg stehen können. Dazu sollten wir uns mit unseren introjizierten Glaubenssätzen auseinandersetzen und uns der “Brille” unserer alten Prägungen bewusst werden, durch die wir die heutige Realität wahrnehmen. Das Ziel ist also, unser Gespür dafür zu schärfen, wann uns unsere negativen Emotionen weiterhelfen – und wir sie auch selbstfürsorglich annehmen und zulassen sollten –, und wann wir ihnen dagegen nicht alles glauben sollten.
Wenn du deine persönliche Entwicklung noch intensiver fördern und hinderliche Glaubenssätze auflösen möchtest, dann könnte dir der Kurs „Das Kind in dir muss Heimat finden“ der Stefanie Stahl Akademie helfen. Weitere Informationen findest du hier: