Es ist ein offenes Geheimnis, dass sehr viele Menschen Pornos schauen. Manche Menschen sind sexueller als andere: Es gibt große Unterschiede in der Art und Häufigkeit von sexuellen Gedanken, Fantasien, Impulsen und Verhaltensweisen einzelner Personen. Das ist völlig normal und absolut in Ordnung. Aber wo verläuft die Grenze zur Sucht?
Pornosucht ist keine eigene Diagnose. In der klinischen Psychologie würde man von einer Pornografienutzungsstörung sprechen, aber wir bleiben mal bei der umgangssprachlichen und kürzeren Bezeichnung Pornosucht. Es ist eine Subform der Störung mit zwanghaftem Sexualverhalten. Es handelt sich dabei um eine Störung der Impulskontrolle. Ein Großteil der Leute, die sextüchtig sind, leiden spezifisch unter Pornosucht.
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Was steckt psychologisch dahinter?
Pornos beeinflussen uns auch dann, wenn wir nicht süchtig sind, beziehungsweise bevor eine Sucht überhaupt beginnt. Es gibt verschiedene Mechanismen, die wirksam werden, während wir wiederholt Pornos konsumieren und das ohne, dass wir uns dessen bewusst sind.
Das so genannte “Lernen am Modell” ist eine Lerntheorie des Psychologen Albert Bandura und sagt vereinfacht, dass Vorbilder unser Norm- und Wertesystem beeinflussen, indem sie Verhaltensweisen vorleben, die wir nachahmen. Sprich: Wir sehen, wie die Pornostars sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten und übernehmen unbewusst ihre Normen und Handlungen in unserem Verhalten. Besonders wenn diese Pornostars für ihr Verhalten mit sexueller Lust belohnt werden.
Ebenso ist Konditionierung auf mehreren Ebenen ein entscheidender Faktor. Zum einen koppeln wir durch z.B. das gleichzeitige Auftreten von Sex und Gewalt in Gewaltpornografie diese beiden Aspekte. Sogar wenn wir uns kognitiv von dem Gesehen abgrenzen, besteht diese Kopplung. Wir konditionieren beim Ponokonsum also sexuelle Präferenzen. Zum anderen konditionieren wir den Kontext, in dem wir Pornos schauen. Bestimmte Gegebenheiten oder Rituale, z.B. vor dem Einschlafen noch Pornos zu konsumieren, führen dann irgendwann dazu, dass diese Koppelung immer stärker wird. Dann haben wir das Gefühl, dass wir vor dem Einschlafen unbedingt einen Porno schauen müssen. Ebenso können wir Gefühlszustände und Pornos koppeln. Nutzen wir Pornos, um Frustration oder Stress abzubauen, werden diese Gefühle irgendwann auch zum Auslöser für Pornokonsum werden.
Dann gibt es da auch noch die Gewöhnung, in Fachsprache: Habituation. Mit zunehmender Häufigkeit der Reizdarbietung nimmt die emotionale Reaktion auf den Reiz ab, was zu einer Art „Abstumpfung“ führt. Einfach gesagt: Man gewöhnt sich an das, was man im Porno sieht, und über einen längeren Zeitraum erregt es einen nicht mehr so wie am Anfang. Dann braucht man immer härtere Pornos, um zum gleichen Erregungslevel wie früher zu kommen.
Wir Menschen tendieren bewusst und unbewusst zu sozialen Vergleichen. Positive Vergleiche führen zu Zufriedenheit, negative zu Unzufriedenheit. Da Sex ein ziemlich privates Thema ist, haben wir zum direkten Vergleich eigentlich nur die Möglichkeit uns mit den Bildern und Filmen aus den Medien zu vergleichen. Da überrascht es wenig, dass eine der am besten belegten Auswirkungen des Pornokonsums die Unzufriedenheit mit dem eigenen Sexleben ist. Denn ganz ehrlich – wer kann bei diesen unrealistischen und bearbeiteten Versionen schon mithalten?
Was machen Pornos mit unseren Beziehungen?
Was genau die Auswirkungen von Pornos auf Beziehungszufriedenheit sind, wurde viel erforscht. Es heißt, dass Pornokonsum mit Scheidungen, Betrug und einer unzufriedeneren Beziehung zusammenhängt. Allerdings ist die Richtung des Zusammenhangs nicht klar. Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Beziehungsweise was war zuerst da, die Beziehungsprobleme oder die Pornos? Schwer zu sagen.
Klar ist, dass sich Pornos negativ auswirken können, wenn man nur noch dadurch erregt wird und einem der bisherige Sex nicht mehr reicht. Pornokonsum hängt schließlich auch mit Erektionsproblemen zusammen. Oder auch wenn durch den erhöhten Pornokonsum weniger Sex in der Beziehung stattindet, weil man durch Masturbation beim Ponoschauen schon “ausgepowert” ist.
Außerdem können auch Unsicherheiten in Bezug auf das eigene Körperbild entstehen. Auch die Partner:innen der Pornokonsumenten sind anfälliger dafür, sich mit den Pornostars zu vergleichen und leiden womöglich unter den Körperidealen der Szene.
Studien legen nahe, dass mit häufigem Pornokonsum die sexuelle Unsicherheit wie auch die Unzufriedenheit von Jugendlichen mit ihrer eigenen Sexualität zunimmt. Klingt logisch, oder? Wenn wir uns immer wieder Leute mit unrealistischen Körpern anschauen, die unrealistischen Sex haben und einen Orgasmus nach dem nächsten vorspielen, dann sind wir vielleicht nicht mehr so zufrieden mit dem was wir haben und unsere unrealistischen Erwartungen werden enttäuscht. Es ist ein Vergleich, den wir nur verlieren können.
Neben einer Vielzahl von negativen Auswirkungen wird immerhin auch oft berichtet, dass Pornos Paaren mit Intimitätsproblemen helfen können. Beim gemeinsamen Pornokonsum kann man etwas neues entdecken und vielleicht für Abweckslung beim Sex sorgen. Wichtig ist hier – wie immer – Kommunikation über Wünsche und Bedürfnisse!
Pornos und Religion
Religion und mit Religiosität verbundene Praktiken, wie der Besuch von Gottesdiensten, sind Studien zufolge oft mit einem geringeren Pornografiekonsum verbunden. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass Religiosität häufig mit einer moralischen Ablehnung von Pornografie einhergeht. Über die Jahre haben empirische Studien gezeigt, dass moralische Inkongruenz – also die wahrgenommene Diskrepanz zwischen den eigenen moralischen oder religiösen Überzeugungen und dem eigenen Sexualverhalten – erheblich zu selbstberichteten Pornografieproblemen beitragen kann. Dazu zählen psychische Belastungen, Beziehungsprobleme sowie religiöse und spirituelle Konflikte. Diese Inkongruenz trägt auch maßgeblich zur selbst wahrgenommenen Pornografieabhängigkeit bei. Diese Forschungsergebnisse verdeutlichen, dass der religiöse Kontext und individuelle moralische Unterschiede bei der Beurteilung der Auswirkungen von Pornografie berücksichtigt werden sollten. Wichtig ist dabei zu betonen, dass Pornosucht nicht darauf basiert, dass Personen ihren Konsum aus religiösen Gründen einschränken möchten oder ihn deshalb als zu hoch empfinden.
Woran erkennt man Pornosucht?
Die Symptome von Pornosucht ähneln stark denen anderer Verhaltenssüchte wie der Spiel- oder Kaufsucht. Ein besonderes Merkmal der Pornosucht ist jedoch, dass Glückshormone durch Sex bereits tief in unserer Biologie verankert sind. Bei anderen Süchten muss diese positive Beziehung erst noch erlernt werden.
Pornosucht erkennt man daran, dass der Konsum von Pornografie zum zentralen Lebensinhalt wird und über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten viel Raum im eigenen Leben einnimmt. Es gibt keine festgelegte Anzahl an Stunden, ab der es problematisch wird, da der Leidensdruck und Kontrollverlust der Betroffenen für die Diagnose entscheidend ist.
Der Kontrollverlust über den Pornokonsum ist ein anhaltendes Muster der Unfähigkeit, intensive, sich wiederholende sexuelle Impulse oder Triebe zu kontrollieren, was zu sich wiederholendem Sexualverhalten führt und sich in einem oder mehreren der folgenden Symptome manifestiert:
Betroffene berichten, die Kontrolle über ihren Konsum verloren zu haben, was zu Vernachlässigung anderer Lebensbereiche führt. So kann es sein, dass die eigene Gesundheit oder Körperpflege, Interessen, Aktivitäten und andere Verantwortungen darunter leiden. Dies äußert sich beispielsweise in Konflikten in der Partnerschaft oder negativen Auswirkungen auf der Arbeit, im Studium oder der Ausbildung.
Gescheiterte Versuche, das Verhalten unter Kontrolle zu bekommen, gehören auch dazu. Die Person hat zahlreiche erfolglose Versuche unternommen, sich wiederholendes Sexualverhalten zu kontrollieren oder deutlich zu reduzieren.
Die Person konsumiert weiterhin Pornos, trotz nachteiliger Folgen, wie z. B. Konflikte in der Beziehung aufgrund des Pornokonsums, finanzielle oder rechtliche Folgen, negative Auswirkungen auf die Gesundheit.
Die Person übt weiterhin repetitives Sexualverhalten aus, auch wenn die Person wenig oder gar keine Befriedigung daraus empfindet. Das nennt sich Toleranzbildung.
Für eine Diagnose ist es wichtig, dass die Symptome nicht besser durch andere Störungen erklärt werden können. So muss beispielsweise eine manische Episode oder ein anderer medizinischer Zustand ausgeschlossen sein, genauso wie die Wirkung einer Substanz oder eines Medikaments, die das Verhalten auslösen.
Zu guter Letzt gilt noch der Leidensdruck als entscheidendes Kriterium. Der wiederholte Pornokonsum führt zu deutlichem Stress oder erheblicher Beeinträchtigung in persönlichen, familiären, sozialen, pädagogischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Stress, der ausschließlich mit moralischen Urteilen und Missbilligung sexueller Impulse, Triebe oder Verhaltensweisen zusammenhängt, reicht nicht aus, um diese Anforderung zu erfüllen.
Personen mit einer zwanghaften sexuellen Verhaltensstörung zeigen häufig sexuelles Verhalten als Reaktion auf Gefühle von Depression, Angst, Langeweile, Einsamkeit oder andere negative affektive Zustände. Obwohl dies nicht diagnostisch entscheidend ist, kann die Berücksichtigung der Beziehung zwischen emotionalen und Verhaltensmerkmalen und sexuellem Verhalten ein wichtiger Aspekt der Behandlung sein.
Was muss bei der Diagnose von Jugendlichen beachtet werden?
Die Pubertät ist eine Zeit, in der sich viel hormonell verändert und die meisten ihre Sexualität entdecken. Da ist es völlig normal, dass Jugendliche häufig masturbieren, oder einen unkontrollierten sexuellen Drang verspüren.
Im Gegensatz dazu wird häufiges oder riskantes Sexualverhalten bei Jugendlichen nicht als normal betrachtet, da dieses Verhalten möglicherweise die soziale und emotionale Entwicklung negativ beeinflusst und selbst ein Risikofaktor für Pornosucht ist.
Wer ist anfällig für Pornosucht?
Grundsätzlich kann es jeden treffen. Es gibt nicht die eine typisch sexsüchtige Person. Allerdings sind Männer deutlich häufiger von Pornosucht betroffen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Männer im Durchschnitt mehr Pornografie konsumieren als Frauen. Man wird natürlich eher von Dingen abhängig, die man regelmäßig tut. Warum Männer eher Pornos schauen und Frauen sich häufiger erotische Romane durchlesen, kann von der Wissenschaft leider noch nicht beantwortet werden.
Pornos geben uns einen Dopaminkick! Der schnelle, kostenlose und jederzeit verfügbare Dopaminausstoß beim Pornokonsum kann süchtig machen. Dabei kann frühes sexuelles Verhalten ein entscheidender Faktor sein, ob es zu einer Sucht kommt oder nicht. Viele Menschen mit zwanghaften sexuellen Verhaltensstörungen berichten von sexuellem Verhalten in der Jugendzeit, das riskantes Sexualverhalten, Masturbation zur Bewältigung negativer Gefühle und intensiven Pornografiekonsum beinhaltet.
Zwanghafte sexuelle Verhaltensstörungen im Erwachsenenalter sind häufig mit Kindheitstraumata, einschließlich sexuellem Missbrauch, verbunden. Frauen berichten dabei von höheren Raten und Schweregraden des Missbrauchs.Ebenso spielen komorbide Störungen eine Rolle. Jugendliche und Erwachsene mit zwanghaften sexuellen Verhaltensstörungen leiden häufig unter gleichzeitig auftretenden psychischen, Verhaltens- oder neurologischen Entwicklungsstörungen, einschließlich Substanzgebrauchsstörungen.
Welche Behandlungsansätze gibt es?
Abstinenz bzw. Teilabstinenz – also Pornoentzug ist ganz zentral in der Behandlung. Was davon besser ist, wird gerade noch in einer groß angelegten Studie von unserem Interviewgast Dr. Charlotte Markert untersucht. Als Tip teilte sie im Podcast mit, dass man bestimmte Internetseiten sperren lassen kann oder eine Kindersicherung für sich einrichtet. Außerdem kann man den Suchtdruck im Tagebuch dokumentieren und Trigger wie z.B. sexualisierte TV Sendungen oder Inhalte auf Social Media meiden.
In einer Therapie werden Auslöser und Überzeugungen über die sexuelle Sucht identifiziert. Ebenso arbeitet man daran, gesündere Entscheidungen und Bewältigungsfähigkeiten zu entwickeln. Oft spielt der Aktivitätsaufbau in anderen Bereichen eine Rolle. Wenn man z.B. Pornos zur Stressbewältigung genutzt und so die Sucht entwickelt hat, werden Stressoren identifiziert und der Umgang damit besprochen, ebenso werden alternative Stressbewältigungsmaßnahmen geübt.
Selbsthilfe durch Gruppen wie Anonyme Sexsüchtige (Sex Addicts Anonymous), die ähnlich wie bei den anonymen Alkoholikern einem 12-Schritte Programm folgen, werden häufig therapiebegleitend empfohlen.
Wie in jeder Therapie ist auch die Rückfallprävention ein Bestandteil der Behandlung von Pornosucht.
Wenn du dich in den beschriebenen Symptomen wiedererkannt hast, zögere nicht, dir professionelle Hilfe zu suchen!