Ist Liebe eine Entscheidung?

GEPRÜFT DURCH | STEFANIE STAHL & LUKAS KLASCHINSKI VERÖFFENTLICHT | 21.06.2023

“Liebe muss einfach sein”, oder “Warte nur, bis du den Richtigen triffst!”: Viele von uns sind mit dem Bild aufgewachsen, dass die wahre Liebe gewissermaßen ein Wunder sei, das einen aus dem Nichts überwältigt und in dem es keine Zweifel, Konflikte oder Probleme gibt. Wer schon mal eine länger dauernde Beziehung geführt hat, weiß aber auch: Dieses Bild passt oft nicht zur Realität. Wieso Liebe also mehr als nur ein Gefühl ist und auch mal anstrengend sein darf, erfahrt ihr in diesem Beitrag.

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Social Media, Liebeslieder und Disneyfilme: Viele von uns sind mit der Vorstellung aufgewachsen, dass die Liebe eigentlich ein Selbstläufer ist, sobald wir unseren Prinzen oder unsere Prinzessin auf dem weißen Ross gefunden haben. Wir lernen, dass die “große, wahre Liebe” immer einfach und von totaler Harmonie geprägt sein muss – und natürlich für immer andauert. In dieser Vorstellung ist Liebe also etwas, das uns gewissermaßen passiv widerfährt. Nicht nur die eigene Erfahrung vieler von uns, sondern auch berühmte Psycholog:innen wie Esther Perel, John Gottman oder Jens Corssen widersprechen diesem Bild jedoch deutlich: Sie sagen vielmehr, dass Liebe Arbeit erfordert, anstrengend sein kann – und man sich immer wieder aktiv für sie entscheiden muss. 

Aber was bedeutet das für uns? Welche Rolle spielen Gefühle, wie können wir uns denn für die Liebe entscheiden – und was ist Liebe überhaupt?

Liebe und Verliebtheit

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Erstmal ist es wichtig, zwischen Liebe und Verliebtheit zu unterscheiden. Die beiden sind nämlich schon rein körperlich zwei verschiedene Phänomene: Verliebtsein ist ein hormoneller Sonderzustand, der evolutionär gesehen den Zweck hat, sich die andere Person zu sichern, sie also an sich zu binden. Während der Verliebtheitsphase werden Adrenalin (ein Stresshormon) und Dopamin (das Hormon des Verlangens) ausgeschüttet, die uns dazu motivieren, uns das Objekt der Begierde endlich zu erobern und “dingfest zu machen”. Alles, was potenziell negativ sein könnte, blenden wir aus, der oder die potenzielle Partner:in scheint uns absolut perfekt und Konflikte sind in dieser Beziehungsphase ein Fremdwort. Das Gefühl der Verliebtheitsphase entspricht also genau diesem Bild der perfekten, harmonischen und immer einfachen Liebe.  

Dabei vergessen wir ganz oft, dass Liebe aber eigentlich der Zustand ist, der danach folgt: Sie spielt sich in anderen Gehirnregionen ab, die Ausschüttung von Dopamin und Adrenalin sinkt und stattdessen wird das Bindungshormon Oxytocin sowie verschiedene Glückshormone ausgeschüttet. Während die Verliebtheitsphase von viel Aufregung und Leidenschaft, aber auch Unsicherheit geprägt ist, stellt sich bei der Entwicklung von Liebe ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit ein. Gleichzeitig scheint die Welt – und unser Partner bzw. unsere Partnerin – nicht mehr so rosarot wie zuvor, und es entsteht auf einmal Raum für Konflikte. Angesichts des idealistischen Bilds, das wir von der Liebe haben, kann uns diese Phase leicht in Unsicherheit in Bezug auf unsere Beziehung oder unseren Partner bzw. unsere Partnerin stürzen: Ist er oder sie vielleicht doch nicht die richtige Person für mich? Wieso streiten wir denn auf einmal so häufig? Wieso ist die Beziehung nicht mehr so aufregend wie früher? Sollten wir uns vielleicht besser trennen?

Die gute Nachricht ist: Diese Entwicklung ist total normal und lässt sich in einer verbindlichen, längeren Beziehung auch nicht vermeiden. Vielmehr gibt es uns eine Gelegenheit, uns zu überlegen, ob die Beziehung wichtig genug ist, um an ihr festzuhalten, an ihr zu arbeiten und uns immer wieder unserem Partner oder unserer Partnerin zuzuwenden. Wer ständig auf der Suche nach der Aufregung und Leidenschaft vom Anfang ist, wird zwar ständig auf Wolke 7 schweben – aber auch nicht darüber hinaus kommen. Wer sich dafür entscheidet, sich von der Illusion der märchenhaften Liebe zu trennen, entscheidet sich aber gleichzeitig dafür, eine Haltung einzunehmen, die eine verbindliche, langfristige – und: liebevolle – Beziehung ermöglicht. 

Was aber bedeutet es, diese Haltung einzunehmen und wie kann ich mich also für die Liebe entscheiden?

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Was muss ich tun, um lieben zu können?

Die Forschung der Paar- und Familienpsychologie zeigt, dass es drei wichtige Komponenten gibt, die eine “liebesbejahende Haltung” begünstigen. 

1. 

Selbstliebe 

Der Psychologe Jens Corssen sagt: “Solange man eine Person braucht, kann man sie auch nicht lieben”. Er bezeichnet die Liebe zu sich selbst sozusagen als das Fundament der Liebe zu anderen Personen. Wer nämlich insgeheim davon überzeugt ist, nicht liebenswert zu sein, wird automatisch davon ausgehen, dass die andere Person das ebenso sieht. Das führt oft dazu, dass man in ständiger Angst lebt, nicht gut genug für die andere Person zu sein und von ihr die konstante Bestätigung braucht, dass sie einen wirklich liebt. So entwickelt sich eine einseitige Abhängigkeit, bei der man von der anderen Person erwartet, dass sie die eigenen Defizite im Selbstwert ausgleicht.

Statt ein Partner / eine Partnerin im wahrsten Sinne des Wortes zu sein, wird das Gegenüber dann viel mehr zum “Kompensator” persönlicher Unsicherheiten. So kann einerseits keine Beziehung auf Augenhöhe stattfinden, andererseits übertragen wir unserem Partner oder unserer Partnerin damit auch Verantwortung, die nicht zu ihm oder ihr gehört. Zudem ist die Beziehung dann ständig nur auf die Erfüllung unserer Bedürfnisse ausgerichtet und es besteht kein Raum dafür, auch auf das Gegenüber und dessen Bedürfnisse einzugehen. 


Für eine erwachsene Beziehung ist es also wichtig, dass man sich mit sich selbst auseinandersetzt, die Verantwortung für sein eigenes Wohlergehen übernimmt und die andere Person sozusagen eher als “Sahnehäubchen” für das eigene Leben, statt als überlebenswichtige Notwendigkeit betrachtet. Das heißt übrigens nicht, dass wir all unsere Themen komplett aufgelöst haben und perfekt sein müssen, wenn wir eine Beziehung eingehen. Wenn wir aber ein Bewusstsein für unsere eigenen Prägungen, Glaubenssätze und mögliche Projektionen haben, können wir uns auch mehr auf die andere Person konzentrieren, statt in ihr ständig nur eine Erfüllung unserer eigenen Bedürfnisse zu suchen.

2. 

Ja zur Beziehung sagen

Wenn wir eine langfristige, verbindliche (und erfüllende) Beziehung führen wollen, ist es zudem essenziell, dass wir uns auch richtig auf unser Gegenüber einlassen. 
Das bedeutet zum einen, aktiv Ja zur Beziehung zu sagen: Das heißt, das Fortbestehen und Gelingen der Beziehung bewusst zur Priorität machen, und diese auch gegen Hürden und Ablenkungen zu verteidigen. Dazu gehört auch, den Bedürfnissen der anderen Person zuzuhören, sie ernst zu nehmen und sich für gemeinsame Lösungen einzusetzen, statt nur das eigene Ding durchzudrücken.

3. 

Ja zum Gegenüber sagen

Sich für eine verbindliche Beziehung zu entscheiden, bedeutet zum anderen aber auch aktiv Ja zu unserem Partner oder unserer Partnerin zu sagen – und zwar so, wie er oder sie ist: Statt also ständig zu versuchen, unser Gegenüber zu ändern und es unseren eigenen Erwartungen und Vorstellungen anzupassen, sollten wir akzeptieren, dass unser Partner oder unsere Partnerin eine eigenständige, unabhängige Person ist, die anders ist – und anders sein darf – als wir selbst. Dazu gehört auch, unserem Gegenüber mit Wohlwollen und Respekt zu begegnen, statt ständig “Fehler” zu suchen. 

Kann man dann jeden und jede lieben?

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Wenig überraschend lautet die Antwort: Nein. Die beschriebene Haltung ermöglicht es einem, sich für eine Liebesbeziehung mit einer bestimmten Person zu öffnen. Trotzdem ist diese Haltung nicht mit dem Gefühl von Liebe gleichzusetzen und es gibt einige Faktoren, die die Kompatibilität zweier oder mehrerer Personen stark einschränken. Dazu gehören beispielsweise sehr unterschiedliche Erwartungen und Vorstellung in Bezug auf die Zukunft, schwere psychische Erkrankungen eines Beziehungsparts, und so weiter. Daher ist es – wiederum im Zuge der Selbstliebe – auch ganz wichtig, mit den eigenen Bedürfnissen in Kontakt zu bleiben und diesen treu zu sein – selbst wenn es eine Trennung erfordert.

Fazit –  ist Liebe also wirklich eine Entscheidung?

Zusammengefasst ist Liebe zwar nicht “nur” eine Entscheidung, sondern ein Gefühl, das für viele die Grundvoraussetzung für eine langfristige Partnerschaft ist. Trotzdem kann diese bewusste und aktive liebesbejahende Haltung die Entwicklung dieses Gefühls unterstützen oder überhaupt erst ermöglichen. 

Dazu kommt, dass es auch eine Erleichterung sein kann, sich von dem Bild der großen Liebe, die einen überwältigt, zu distanzieren: Wer bewusst Ja zur Liebe sagt, statt sich ihr einfach zu “ergeben”, ist diesem Gefühl auch nicht komplett ausgeliefert. Man braucht also nicht auf die perfekte Beziehung oder das perfekte Gegenüber zu warten, sondern kann sich selbst dafür entscheiden, diese Entwicklung  zuzulassen. Und letztlich heißt es: Lieben ist (auch) eine Fähigkeit, die wir lernen, und in der wir uns verbessern können. Wir brauchen also nicht passiv darauf zu warten, dass uns unser Prinz oder unsere Prinzessin mit dem weißen Ross endlich erlöst, sondern können selbst mit offenem Herzen auf ihn oder sie zugehen.

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