„Kirmes im Kopf“ – So nennt sich eine Influencerin, die über ADHS im Erwachsenenalter aufklärt. Fühlt sich ADHS so an? Laut, bunt, viel, man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen, hinsehen oder hinhören soll? Das sind zumindest Assoziationen, die einem bei einem solchen Jahrmarkt in den Kopf schießen. Was es heißt ADHS zu haben, wie es sich äußert, uns beeinflusst und wie wir damit umgehen können, lest ihr in diesem Blogbeitrag.
Ausgeschrieben bedeutet ADHS, Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung. Darin ist das Wort „Störung“ enthalten, obwohl es sich nicht um eine Krankheit im klassischen Sinn handelt. Unsere Aufmerksamkeit befindet sich auf einem Spektrum, genau wie unsere Intelligenz. Manche Menschen sind weniger aufmerksam, andere mehr. Deshalb hat sich, statt von einer Störung oder Krankheit zu sprechen, der Begriff Neurodiversität etabliert. Grob übersetzt bedeutet das so viel wie „Nervenvielfalt“. Dahinter steckt die Annahme oder Haltung, dass neurobiologische Unterschiede im Gehirn zu einer Bandbreite unserer Entwicklung gehören und somit keine Störung oder Krankheit darstellen. Neben ADHS wird zum Beispiel auch Autismus dazugezählt.
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Um eine ADHS-Diagnose zu stellen, müssen Symptome aus den Bereichen Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität vorhanden sein. Zu dem Bereich der Unaufmerksamkeit gehören unter anderem häufige Flüchtigkeitsfehler, Desorganisation, das Verlieren von Gegenständen, leichte Ablenkbarkeit und Vergesslichkeit oder auch Schwierigkeiten beim Zuhören. Hyperaktivität und Impulsivität werden in der Diagnosestellung als ein Bereich zusammengenommen und umfassen zum Beispiel Hibbeligkeit, häufiges Aufstehen, ein Unruhegefühl und viel Reden.
Häufig wird ADHS schon im Kindesalter diagnostiziert. Doch auch Erwachsene können davon betroffen sein. Wurde dies in der Kindheit nicht herausgefunden, bleibt die ADHS im Erwachsenenalter oft unerkannt oder wird falsch diagnostiziert. Dem Thema wird, auch in den sozialen Medien, immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt, wodurch viele Menschen sich mit dem Thema auseinandersetzen und sich eine Abklärung der Symptomatik wünschen.
Die Symptome von ADHS im Erwachsenenalter können sich von denen im Kindesalter unterscheiden. Während Hyperaktivität und Impulsivität bei Erwachsenen eher abnehmen, bleiben Konzentrationsprobleme und Unruhe oft bestehen. Betroffene haben Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit auf eine Sache zu richten und können schnell abgelenkt werden. Sie haben Probleme, ihre Gedanken und Emotionen zu kontrollieren und handeln häufig impulsiv. Auch Schlafstörungen, Reizbarkeit und eine geringe Frustrationstoleranz können auftreten.
Die Symptome von ADHS können den Alltag erheblich beeinträchtigen. Betroffene haben oft Schwierigkeiten, ihren Arbeitsplatz oder ihr Zuhause in Ordnung zu halten und ihre Aufgaben zu erledigen. Sie können sich nicht lange konzentrieren und haben Schwierigkeiten, Dinge zu organisieren und zu planen. Auch in sozialen Beziehungen kann ADHS durch Impulsivität und Schwierigkeiten, sich in Gruppen zu integrieren, eine Herausforderung darstellen. Aufgrund der Impulsivität und Unaufmerksamkeit können auch Beziehungsprobleme entstehen.
Neben eventuellen Beeinträchtigungen geht ADHS auch mit positiven Eigenschaften einher: Kreativität, Spontanität, Improvisationstalent, Enthusiasmus, Wagemut und Hyperfokus. Viele dieser Stärken lassen sich durch die Impulsivität erklären. Kreativität hat viel mit flexiblem Denken und verschiedenen Ideen zu tun. Durch das Hin- und Herspringen der Gedanken sind Verknüpfungen von verschiedenen Themen im Innen und Außen möglich. Auch das Talent zur Improvisation lässt sich durch die Impulsivität intuitiv ableiten. Wie kann aber ein Hyperfokus möglich sein, wenn ADHS doch von Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwierigkeiten geprägt ist?
Hyperfokus bedeutet die übermäßige Beschäftigung mit einem bestimmten Thema über mehrere Stunden oder Tage hinweg. Arbeitet eine Person unter Hyperfokus, vergisst sie alles andere um sich herum. So kann die gesamte Kraft der Konzentration auf eine Aufgabe gerichtet sein, ohne Ablenkungen oder Unterbrechungen. Durch diese ungeteilte Aufmerksamkeit und Beschäftigung mit einer Sache können tiefe Einsichten und gute Ergebnisse erlangt werden. Allerdings ist dieser Zustand auch anstrengend für unser Gehirn, sodass eine Überbelastung oder sogar Burnout folgen können. Zudem werden nicht nur andere Aufgaben verdrängt, sondern auch Mahlzeiten oder Toilettengänge vergessen. Wie es zu diesem Hyperfokus kommt oder was die Ursachen sind, ist bisher noch unklar. Vermutungen nach gibt es genetische oder neurologische Gründe, die aber noch nicht genug erforscht sind.
Natürlich sind die Symptome von ADHS nicht alle in „gut“ und „schlecht“ oder „hilfreich“ und „beeinträchtigend“ einteilbar. Das ist sehr individuell und kontextabhängig. Es gibt aber noch ein paar Merkmale der ADHS, von denen die meisten Menschen vermutlich nicht wissen, dass diese mit der neurodiversen Ausprägung einhergehen. Dazu gehören „Spezialinteressen“, in denen Personen sich total verlieren können. Das kann auch mit Menschen passieren, indem diese idealisiert werden, übermäßiges Interesse für deren Leben besteht oder sogar zwanghaft an diese gedacht wird.
Zudem kann auch die konstante Beschallung durch Musik oder den Fernseher während Routinetätigkeiten eine Ausprägung der ADHS darstellen. Diese Zuschreibung sollte aber nur mit Vorsicht getätigt werden, da heutzutage sehr viele Menschen eine Art „Dauerbeschallung“ brauchen, was auch viele andere Ursachen haben kann, wie z.B. Gewohnheit oder die Vermeidung der eigenen Gedanken. Weiterhin können Menschen mit ADHS zunächst total begeistert von etwas oder jemandem sein und dann rapide das Interesse verlieren. Auch ein unaushaltbares Genervt-davon-sein, dass andere etwas langsam tun, z. B. langsam laufen, sprechen oder denken, kann mit ADHS zusammenhängen.
Eine Diagnose von ADHS im Erwachsenenalter kann schwierig sein, da die Symptome oft unspezifisch sind und mit anderen Erkrankungen verwechselt werden können. So gibt es Überschneidungen mit Depressionen, Angststörungen und Persönlichkeitsstörungen. Zur Differenzierung von diesen Störungsbildern kann man sich fragen, ob die vermeintlichen ADHS-Merkmale schon seit der Kindheit und über verschiedene Lebensbereiche hinweg vorhanden sind.
Aber eine ausführliche Anamnese und eine gründliche körperliche Untersuchung sind unerlässlich, um die Störung zu diagnostizieren. Die Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter umfasst in der Regel eine Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie. Medikamente wie Stimulanzien können helfen, die Konzentration zu verbessern und Impulsivität zu reduzieren. Psychotherapie dagegen gibt Strategien zur Bewältigung von Symptomen und der Verbesserung sozialer Fähigkeiten mit an die Hand.
Das Allerwichtigste ist es, sich selbst nicht zu geißeln. Betroffene können nichts für ihre Ausprägung der Neurodiversität. Dabei sollte bedacht werden, dass solche Symptome aufgrund des Kontextes, in dem wir leben, beeinträchtigend sind. Bei einem Job am Schreibtisch vor dem Laptop „stört“ die eigene Hibbeligkeit oder die fehlende Konzentration viel mehr, als wenn man beispielsweise gärtnert oder einen handwerklich-kreativen Beruf ausübt. Da aber vermutlich die meisten Leute, die das hier lesen, eher an den Schreibtisch „Gefesselt sind“, folgen jetzt ein paar Tipps und Strategien, die dabei helfen können, mit der eigenen ADHS umzugehen:
Weiterhin können viel Bewegung und Rausgehen helfen. Aber wie bei den meistens Tipps und Tricks ist es auch hier so, dass jede Person selbst herausfinden sollte, was hilfreich ist. Am besten sollte man mögliche Hilfen ausprobieren und wenn diese guttun, sie im Leben integrieren oder etablieren.
Durch bestimmte Verhaltensweisen können die Symptome sich auch verschlimmern. Zu diesen zählen zu wenig Schlaf oder zu viele Drogen. Besonders Cannabiskonsum kann zu einem Teufelskreis werden. Durch Cannabis kommt es zu einem Ruheerleben, das Menschen mit ADHS sonst schwer erreichen können. Bei häufigem Gebrauch führt Cannabis aber zu Konzentrationsschwierigkeiten, was wiederum versucht wird, durch weiteren Konsum, einzudämmen. Deshalb: Lieber Finger weg von den Drogen.
ADHS im Erwachsenenalter kann eine Herausforderung im Alltag darstellen und zu Schwierigkeiten in der Arbeit, in sozialen Beziehungen und im täglichen Leben führen. Eine Diagnose und Behandlung sind wichtig, um die Symptome zu lindern und eine Verbesserung der Lebensqualität zu erreichen. Es ist essenziell, sich Unterstützung zu suchen und Strategien zur Bewältigung der Symptome zu entwickeln. Aber: Viele Menschen wollen auch gar nicht, dass die Symptome verschwinden. Sie gehören zu ihrer Persönlichkeit und haben oft auch positive Seiten. Begegnet euch selbst und anderen mit Empathie, was das Thema angeht, und findet euren eigenen Umgang damit. Ihr kennt euch am besten!