Wie kann ich mein Trauma erkennen?

GEPRÜFT DURCH | STEFANIE STAHL & LUKAS KLASCHINSKI VERÖFFENTLICHT | 24.05.2023

*Triggerwarnung*

Der Begriff “Trauma” scheint schon fast zu einem Modebegriff geworden zu sein: Jede:r spricht über Traumata und Trigger, und gerade auch Themen wie Entwicklungs- und transgenerationale Traumata erfreuen sich gerade großen Interesses. Aber was ist überhaupt ein Trauma, woran merke ich, dass ich traumatisiert bin und was kann ich tun, wenn ich unter den Folgen meines Traumas leide?

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Was ist überhaupt ein Trauma?

Der Traumabegriff ist in der Psychologie uneinheitlich definiert. Das ICD-11, also das Internationale Klassifikationssystem für Krankheiten, versteht unter einem Trauma, “einem oder mehreren Ereignis(sen) von extrem bedrohlicher oder entsetzlicher Natur ausgesetzt zu sein”. In vielen Definitionen wird außerdem vorausgesetzt, dass mit dem traumatischen Ereignis ein Gefühl von Ohnmacht und Überwältigung einhergeht und das Trauma nicht allein bewältigt werden kann.

Wichtig ist, zwischen dem traumatischen Ereignis (Trauma) und den Folgen dieses Ereignisses zu unterscheiden. Es gibt nämlich auch Menschen, die traumatische Ereignisse verarbeiten, ohne davon langfristig negative Folgen davonzutragen. In diesen Fällen ist es auch nicht unbedingt notwendig, das Trauma zu behandeln. Wenn in der Reaktion auf ein traumatisches Ereignis jedoch länger dauernde Symptome entwickelt werden, kann es sich um eine Traumafolgestörung handeln, die unbedingt in einer Traumatherapie aufgearbeitet werden sollte. Wie jemand auf ein traumatisches Ereignis reagiert, hängt von vielen Faktoren, wie der Art, Schwere und Dauer des traumatischen Erlebnisses, der individuellen Resilienz und der Unterstützung nach dem Ereignis ab. 

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Welche Arten von Traumata gibt es?

In der Psychologie werden zwei Dimensionen von Traumata unterschieden. Die erste Dimension bezieht sich darauf, wie das Trauma zustande kam, nämlich ob es durch interpersonelle, vorsätzliche Gewalt verursacht wurde, oder ob es sich um ein sogenanntes “akzidentelles”, also “zufälliges” Trauma handelt. Unter akzidentellen Traumata versteht man beispielsweise Traumata durch Umweltkatastrophen oder zum Beispiel auch Verkehrsunfälle.

Bei der zweiten Dimension unterscheidet man zwischen dem “Typ 1”- und dem “Typ 2”- Trauma. Das “Typ 1”-Trauma wird auch als “Schocktrauma” bezeichnet und beschreibt ein einmaliges, unvorhergesehenes traumatisches Ereignis. Ein interpersonelles “Typ 1”-Trauma ist beispielsweise ein Überfall oder eine einmalige Vergewaltigung; ein akzidentelles “Typ 1”-Trauma könnte beispielsweise ein Autounfall oder ein Erdbeben sein. 

“Typ 2”-Traumata werden auch als “komplexe Traumata” bezeichnet. Darunter fallen traumatische Ereignisse, die wiederholt oder andauernd bzw. chronisch auftreten und teilweise auch vorhersehbar sind. Ein interpersonelles “Typ 2”-Trauma wäre beispielsweise wiederholter Missbrauch in der Partnerschaft; ein akzidentelles “Typ 2”-Trauma könnte zum Beispiel eine andauernde Hungersnot oder Dürre sein. Diese chronischen Traumatisierungen haben häufig schwerwiegendere und komplexere Folgen als “Typ 1”-Traumata und erfordern eine längerdauernde und komplexere Therapie.

Neben diesen Dimensionen gibt es auch noch andere Unterscheidungen von Traumata: Unter einem Entwicklungstrauma versteht man eine Traumatisierung in der Kindheit, die durch Vernachlässigung und Gewalterfahrungen, aber auch zum Beispiel durch Überbehütung entstehen kann. Darunter fallen auch Bindungstraumata, die entstehen, wenn in der Kindheit keine zuverlässige Bezugsperson verfügbar ist. Dies führt häufig dazu, dass die Betroffenen auch im Erwachsenenalter Schwierigkeiten haben, nahe Beziehungen zu führen. Unter transgenerationalen Traumata versteht man Traumata, die über Generationen weitergegeben werden, da sie nie richtig verarbeitet wurden. 

Welche möglichen Traumafolgen gibt es?

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Genauso vielfältig wie die Arten von traumatischen Ereignissen sind auch mögliche Traumafolgen. Traumatische Ereignisse sind per Definition abnormale Ereignisse, auf die wir in der Regel mit Entsetzen, Hilflosigkeit und Furcht reagieren. Diese Reaktion ist eine normale Anpassungsreaktion, die noch nicht bedeutet, dass sich daraus eine Traumafolgestörung entwickelt. Erst wenn langfristig Symptome verbleiben und ein starker Leidensdruck bestehen bleibt, spricht man von einer solchen Störung. 

Die bekannteste Traumafolgestörung ist die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die mit Flashbacks, Übererregung und Gefühllosigkeit einhergeht. Die Wahrscheinlichkeit, als Reaktion auf das Trauma eine PTBS zu entwickeln, ist stark von der Art des Traumas abhängig. Bei einer Vergewaltigung beträgt sie zum Beispiel zwischen 40-50%, bei einem Unfall dagegen nur etwa 10%. 

Neben der PTBS gibt es aber auch noch andere Traumafolgestörungen wie die Anpassungsstörung oder die anhaltende Trauerstörung. Auch Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen oder Suchterkrankungen können sich als Reaktion auf ein Trauma entwickeln.

Wie merke ich, ob ich ein Trauma habe?

Grundsätzlich gilt: Auf ein schlimmes bzw. traumatisches Ereignis mit Stress und negativen Gefühlen zu reagieren, ist erstmal völlig normal und gehört zur Verarbeitung dazu. Man spricht dabei von einer akuten Belastungsreaktion. In vielen Fällen werden traumatische Ereignisse mit der Zeit bewältigt, ohne dass sich eine schwerwiegende Folgestörung entwickelt. Aber auch wenn keine klinische Störung daraus entsteht, ist es natürlich immer eine gute und valide Option, bei der Aufarbeitung professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es kann aber auch schon helfen, Selbstfürsorge zu betreiben, sich mit den Emotionen und dem Erlebten auseinanderzusetzen und sich Unterstützung bei Freund:innen oder Familienmitgliedern zu holen. Sobald aber ein hoher und länger andauernder Leidensdruck besteht, ist es ganz zentral, das Trauma im Rahmen einer Traumatherapie aufzuarbeiten! Nur dadurch kann verhindert werden, dass sich die Traumafolgen weiter verfestigen, sich die Symptome verschlimmern und das Trauma möglicherweise gar an kommende Generationen weitergegeben wird. 

Wann brauche ich eine Therapie?

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Ob eine Traumatherapie notwendig ist, lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten. Wichtige Hinweise auf eine Traumafolgestörung können die folgenden Symptome sein: 

1.

Übererregung und Unruhe

Chronische Übererregung ist eines der Hauptsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Betroffenen fühlen sich in einer ständigen Hab-Acht-Stellung, checken ihre Umgebung ständig auf mögliche Gefahrenquellen aus und sind konstant im Überwachungsmodus. Oft bestehen daher eine erhöhte Muskelanspannung und Schreckhaftigkeit sowie Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme. Wenn du also nach einem traumatischen Ereignis das Gefühl hast, ständig auf der Hut zu sein und nicht richtig zur Ruhe kommen kannst, kann das ein Zeichen dafür sein, dass du professionelle Hilfe in Anspruch nehmen solltest

2.

Untererregung und depressive Symptomatik

Auch ein außergewöhnlich niedriges Erregungslevel kann darauf hindeuten, dass ein traumatisches Ereignis nicht verarbeitet wurde. Bei den Betroffenen liegt dann oft eher eine depressive Symptomatik vor: Sie fühlen sich antriebslos und haben das Gefühl, nicht gegen schlimme Ereignisse ankommen zu können. Oft liegt zudem eine emotionale Taubheit vor: Die Betroffenen fühlen sich emotional abgestumpft und wie von der Welt abgetrennt. Häufig schwanken traumatisierte Menschen zwischen dem Gefühl der Taubheit und der Übererregung.

3. 

Dissoziative Zustände

Bei schweren Traumatisierungen können dissoziative Zustände auftreten. Unter Dissoziation versteht man die Abspaltung von Gefühlen, Gedanken, Handlungen oder körperlichen Empfindungen. Das kennen wir zu einem gewissen Ausmaß alle: Wenn wir beispielsweise gerade ein spannendes Gespräch mit einer Freundin führen und erst nach einer halben Stunde merken, dass wir die ganze Zeit total unbequem auf unserem Stuhl gesessen sind, handelt es sich dabei schon um eine Dissoziation in Bezug auf diese körperliche Empfindung. 

Bei einer Traumatisierung handelt es sich jedoch um eine umfassendere Abspaltung der negativen Gefühle und Erinnerungen, die das traumatische Ereignis ausgelöst hat. Das ist eigentlich eine clevere (und automatische) Überlebensstrategie des Gehirns: Indem es alles abspaltet, was mit dem Trauma zu tun hat, kann es sich den negativen Empfindungen entziehen und erstmal “durchhalten”. Wenn ein Trauma jedoch nicht aufgearbeitet wird und die Dissoziation zu einer andauernden Copingstrategie wird, kann sich dies im schlimmsten Fall in einer dissoziativen Störung manifestieren, in der ganze Teile der Persönlichkeit abgespalten werden. 

Dissoziative Zustände in Folge einer Traumatisierung können sich auf verschiedene Art und Weise äußern. Manche Betroffene erleben Zeitlücken, in denen sie sich nicht erinnern können, was passiert ist. Andere erleben körperliche Krampfanfälle. Auch Stimmen hören kann ein Anzeichen für eine Dissoziation sein. Falls bei dir dissoziative Zustände auftreten, ist das ein ziemlich eindeutiges Zeichen für eine Traumatisierung und sollte dringend professionell behandelt werden.

4.

Flashbacks

Flashbacks, also das plötzliche innere Wiedererleben der traumatischen Situation, sind bekannte Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung. Es kann sein, dass Bilder des traumatischen Ereignisses wieder vor dem inneren Auge auftauchen oder man meint, Geräusche oder Gerüche aus der Situation wahrzunehmen. Auch wiederkehrende Alpträume über die traumatische Situation können ein Hinweis auf Flashbacks sein. Manchmal ist dieses Wiedererleben so stark, dass die Betroffenen das Gefühl haben, den Kontakt zur Realität zu verlieren.

5.

Vermeidung

Wenn eine Traumafolgestörung vorliegt, versuchen Betroffene oft, alles zu vermeiden und von sich wegzudrücken, was sie an das traumatische Ereignis erinnern könnte. Wenn du merkst, dass du dich gedanklich nicht mit einem traumatischen Ereignis auseinandersetzen kannst, sondern ständig damit beschäftigt bist, Situationen, Orte und Aktivitäten zu vermeiden, die dich daran erinnern könnten, kann das ein Anzeichen für eine behandlungsbedürftige Traumafolgestörung sein.

6.

Selbstverletzendes Verhalten und Suizidgedanken

Auch Selbstverletzung und Suizidgedanken können als Reaktion auf schwere Traumata auftreten. In diesen Fällen sollte auch sofort therapeutische Hilfe in Anspruch genommen werden.

7.

Schwierigkeiten im Beziehungsaufbau

Wenn man nach einem traumatischen Ereignis Schwierigkeiten hat, Nähe zuzulassen, kann auch das ein Hinweis auf eine Traumafolgestörung sein. Wenn du dich also seit einem traumatischen Ereignis zurückziehst und sozialen Kontakt vermeidest, solltest du unbedingt eine Traumatherapie aufsuchen.
Letztlich gilt: Nur du bestimmst, ob du dich der Verarbeitung eines traumatischen Ereignisses gewachsen fühlst oder ob du traumatherapeutische Unterstützung benötigst. Diese in Anspruch zu nehmen ist immer valide und sollte im Zweifel auch lieber früher als später passieren – egal, ob bei dir eine klinisch ausgewachsene PTBS vorliegt oder nicht!

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Kann es sein, dass ich mich nicht an mein Trauma erinnern kann?

Ja, gerade bei komplexen Traumata wie andauernder sexueller oder körperlicher Gewalt kann es sein, dass die ganze traumatische Erfahrung abgespalten wurde und nicht erinnert werden kann. Häufig äußert es sich jedoch trotzdem in diffusen Ängsten, körperlichen Symptomen und den oben beschrieben dissoziativen Zuständen. Wenn du vermutest, dass sich in deiner Biographie ein Trauma verstecken könnte, solltest du auch dies mit einer Fachperson besprechen.

Wie kann ich mein Trauma überwinden?

Da traumatische Ereignisse in vielen Fällen nach und nach verarbeitet werden können, musst du nicht direkt professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, wenn du das nicht möchtest. Da kann es bereits gut tun, dich mit Unterstützung von Vertrauenspersonen mit dem Ereignis auseinanderzusetzen und Selbstfürsorge zu betreiben. Falls du jedoch langanhaltende psychische oder körperliche Symptome hast, kann es gut sein, dass du eine Traumafolgestörung entwickelt hast. Diese sollten unbedingt im Rahmen einer Traumatherapie behandelt werden. Wichtig ist: Ob dein Trauma ein behandlungswürdiges Ausmaß erreicht, bestimmst allein du!

In der Traumatherapie geht es darum, das in der Vergangenheit Geschehene zu integrieren, damit man in der Gegenwart nicht mehr darunter zu leiden hat. Man unterscheidet dabei drei Phasen: Stabilisierung, Traumabearbeitung und Integration. 

Bei der Stabilisierung wird versucht, emotional, körperlich und sozial eine gewisse Ruhe und Stabilität herzustellen. Das soll die Basis dafür bilden, dass man sich dann mit dem Trauma auseinandersetzen kann. Das bedeutet, dass einerseits akute körperliche Symptome wie Schmerzen oder Schlafstörungen behandelt,  emotionale Symptome wie Angstzustände oder dissoziative Symptome angegangen werden und andererseits ein möglichst sicheres, unterstützendes Umfeld geschaffen wird.

Die Phase der Traumabearbeitung befasst sich mit der Konfrontation der traumatischen Erfahrung. Diese Phase ist der Kern der Traumatherapie: Hier geht es darum, das Erlebte zuzulassen und aufzuarbeiten. Dabei wird das traumatische Erlebnis mit verschiedenen Übungen bearbeitet. Beispiele dafür sind Imaginationsübungen, Erarbeitung eines Traumanarrativs oder das gedankliche Wiedererleben der traumatischen Erfahrung. Hier werden häufig auch Methoden wie EMDR (“Eye Movement Desensitization and Reprocessing”) oder Hypnose eingesetzt. Diese sorgen dafür, dass das Gehirn in einen Ruhezustand kommt, in dem es überhaupt erst möglich wird, das Trauma zu bearbeiten.

Bei der Integration geht es schließlich darum, das Trauma in die Biografie einzuordnen. Das traumatische Erlebnis wird also in einen größeren Kontext gesetzt und man beginnt, Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Hier wird man also vom “Opfer” zum “Überlebenden”.
Wichtig ist jedoch, dass jede Traumatisierung und somit auch jede Traumabehandlung individuell ist. Wenn du vermutest, von einer Traumatherapie profitieren zu können, kannst du mit deinem Therapeuten oder deiner Therapeutin einen auf dich abgestimmten Behandlungsplan entwickeln.

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