Wie es sich anfühlt, wenn man hochsensibel ist

GEPRÜFT DURCH | STEFANIE STAHL & LUKAS KLASCHINSKI VERÖFFENTLICHT | 19.07.2023

Am Samstagnachmittag in den Supermarkt? An einem heißen Tag mitten in der Menge zu einem Konzert abrocken oder auch nur das leise Summen des Kühlschranks in der Nacht einfach mal ignorieren? Was für viele Menschen keinen zweiten Gedanken wert ist, kann hochsensible Menschen vor große Herausforderungen stellen. Aber was Hochsensibilität überhaupt ist, ob du vielleicht auch davon betroffen bist und wie du damit bei dir selbst oder Menschen in deinem Umfeld umgehen kannst, erfährst du in diesem Beitrag. 

Hochsensibilität ist in aller Munde und scheint schon fast zu einem Modebegriff geworden zu sein. Für manche bedeutet es eine Erlösung, andere halten es für Quatsch – aber auch wenn das Konzept Hochsensibilität von gewissen anderen Konzepten (noch) nicht scharf abzugrenzen ist, ist es mittlerweile wissenschaftlich gut untersucht und belegt. Nichtsdestotrotz – und obwohl schätzungsweise 15-20% aller Menschen davon betroffen sind – stehen Sprüche wie “Mein Gott, du bist aber empfindlich”, “Stell dich nicht so an” oder “Mach doch nicht immer aus einer Mücke einen Elefanten” für Hochsensible leider oft noch an der Tagesordnung. Aber was ist Hochsensibilität eigentlich genau und wie entsteht sie?

Was bedeutet Hochsensibilität überhaupt?

ff2b9c7b a916 44c6 ae0b 0e0b33ef0526 1 201 a-so-bin-ich-eben

Definition

Das Konzept der Hochsensibilität geht auf die amerikanische Psychologin Elaine Aron zurück. Man versteht darunter eine verstärkte Sensibilität gegenüber inneren und äußeren Reizen, die mit einer erhöhten Informationsverarbeitung bzw. einer tieferen Verarbeitung sämtlicher Reize im Gehirn einhergeht. Das kann sich sowohl auf kognitive Informationen, emotionale Intensität oder auch äußere körperliche und sensorische Reize – zum Beispiel Gerüche, Geräusche, Berührungen, Schmerzen oder extreme Temperaturen –  beziehen. Hochsensible nehmen Reize also einerseits stärker wahr, verarbeiten sie tiefer und brauchen auch länger, um die Belastung durch die Reize wieder abzubauen. Das führt dazu, dass sie schneller reizüberflutet sind und für Dinge, die für andere ganz alltäglich sind, viel mehr Energie aufbringen müssen. Aufgrund ihrer erhöhten Sensibilität fühlen sich Hochsensible oft “falsch” und unverstanden, was dazu führen kann, dass sie ihre persönlichen Grenzen übergehen, um mithalten zu können. 

Hochsensibilität ist eine genetische Disposition, bei der innere (z.B. Gedanken oder Emotionen) sowie äußere (z.B. sensorische) Reize im Gehirn weniger stark gefiltert und tiefer verarbeitet werden. Es ist also eine sogenannte Neurodivergenz (wie z.B. auch ADHS oder Autismus), was bedeutet, dass die neurologische Entwicklung und Funktion der Betroffenen von der “typischen” Entwicklung und Funktion abweicht – eben in Bezug auf die Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen. Im Gegensatz zu ADHS oder Autismus ist Hochsensibilität aber nicht als Krankheit klassifiziert, weshalb es auch keine Hochsensibilitäts-Diagnose oder klinische Kriterien gibt. 

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von open.spotify.com zu laden.

Inhalt laden

Abgrenzungen

Hochsensibilität weist gewisse Überschneidungen mit anderen psychologischen Konzepten auf, wofür sie auch immer wieder kritisiert wird. 

Beispielsweise wird Hochsensibilität häufig mit Introversion gleichgesetzt. Sowohl Hochsensiblen als auch Introvertieren kann es im sozialen Kontext nämlich schnell mal zu viel werden. Tatsächlich ist die Mehrheit, nämlich ca. ⅔ aller Hochsensiblen introvertiert, es gibt jedoch auch extrovertierte Hochsensible. Diese genießen soziale Kontakte zwar und brauchen sie auch, um Energie zu tanken – trotzdem ist ihre Reizschwelle im Vergleich zu Nicht-Hochsensiblen niedriger und sie brauchen schneller mal eine Pause. 

Auch mit der Persönlichkeitseigenschaft Neurotizismus gibt es gewisse Überschneidungen. Personen mit einer neurotischen Disposition weisen ebenfalls oft eine hohe Emotionalität auf und sind daher auch tendenziell eher ängstlich, unruhig und reizbar – Symptome, welche auch bei Hochsensiblen auftreten können, wenn ihre Reizschwelle überschritten ist. Im Gegensatz zum Neurotizismus ist Hochsensibilität jedoch eine neurologische – und somit angeborene – Disposition, bei der Reize im Allgemeinen anders verarbeitet werden. Sie hat also zum einen andere Ursachen und geht zudem über Neurotizismus hinaus, da eben nicht nur Emotionen, auch äußere Reize wie Gerüche, Geschmäcker oder Geräusche tiefer verarbeitet werden. 

Auch ein niedriges Selbstwertgefühl kann ähnliche Symptome wie Hochsensibilität aufweisen – zum Beispiel ebenfalls durch eine erhöhte negative Emotionalität, Empfindsamkeit und Kränkbarkeit. Hier gilt aber wie beim Neurotizismus, dass Hochsensibilität noch weitere Komponenten umfasst und vorwiegend auf einer neurologischen Grundlage basiert, nicht auf Erfahrungen und Kindheitsprägungen. 

carolina heza zwpymb1glne unsplash-so-bin-ich-eben

Wie äußert sich Hochsensibilität und bin ich vielleicht auch hochsensibel?

Man unterscheidet vier Dimensionen der Hochsensibilität:

Aus diesen Beschreibungen geht bereits hervor, dass Hochsensibilität gleichwohl Fluch und Segen sein kann: Einerseits sind Hochsensible anfälliger für Stress,  (Über-)erregbarkeit und Erschöpfung. Sie brauchen dementsprechend für viele Dinge mehr Energie und müssen somit auch mehr Zeit für Pausen und Rückzug einplanen. Sie fühlen sich schneller und öfter überfordert und tendieren – insbesondere wenn sie ihre Reizschwelle überschreiten – zu Unruhe, Reizbarkeit und emotionaler Instabilität. Zudem besteht oft eine höhere Schmerzempfindlichkeit und eine Tendenz zum Grübeln. Hochsensibilität hat aber auch viele Vorteile: Hochsensible verfügen oft über eine besonders hohe Empathie und ein gutes Einfühlungsvermögen. Sie sind daher gefühlsintensive und aufmerksame Freund:innen und Partner:innen und empfinden zudem auch positive Emotionen oft intensiver als andere Menschen. Auch im Beruf kommt ihnen ihre Gewissenhaftigkeit, ihre gute Organisationsfähigkeit sowie oft auch eine erhöhte Kreativität, Fantasie und Ideenreichtum zugute. Dank ihrer starken analytischen Fähigkeiten sind Hochsensible oft gut darin, Dinge zu verknüpfen, haben ein Auge für Details und eine erhöhte Sensitivität für Ästhetik und Kunst. 

Manche Menschen weisen alle vier Dimensionen auf, bei anderen ist nur eine stark ausgeprägt – daher kann das Erscheinungsbild auch zwischen verschiedenen Menschen stark variieren. Falls du dich von einer oder mehreren der Dimensionen angesprochen fühlst, kann es gut sein, dass du hochsensibel bist. Auch Online-Fragebögen, zum Beispiel unter https://www.zartbesaitet.net/ oder https://www.hsperson.com können hierüber Aufschluss geben. Da manche Menschen eben auch nur von einer Dimension betroffen sind, ist letztlich aber nicht der Gesamtscore entscheidend. Wichtig ist vielmehr, für sich herauszufinden, in welchen Bereichen man beeinträchtigt ist, um da für sich Maßnahmen ergreifen zu können. 

Aber wieso ist es überhaupt wichtig, zu wissen, ob ich hochsensibel bin?

Was bringt es mir überhaupt, zu wissen, dass ich hochsensibel bin?

d631b0d1 97c3 4c99 ab2c a854cb5b6bce 1 201 a-so-bin-ich-eben

Hochsensible sind häufig mit vielen Vorurteilen konfrontiert. Sie werden leicht als überempfindlich und wenig belastbar abgestempelt, woraus sich Glaubenssätze wie “ich bin zu viel” oder “meine Emotionen und Bedürfnisse sind unangemessen” entwickeln können. Äußere Reaktionen wie “Stell dich nicht so an” oder “Reiß dich mal zusammen” werden verinnerlicht und vom inneren Kritiker reproduziert. Für Betroffene kann es daher eine große Erleichterung sein, zu hören, dass sie nicht “falsch” oder “zu viel” sind, sondern es sich um eine genetisch bedingte neurologische Disposition handelt. 

Wenn man weiß, dass man hochsensibel ist und insbesondere auch, in welchen Bereichen man besonders betroffen ist, ermöglicht einem das auch, den Alltag auf die eigenen Bedürfnisse anzupassen und so zu gestalten, dass er der persönlichen Reizschwelle entspricht. So kann man einen guten Umgang mit der Hochsensibilität finden, lernen, in welchen Bereichen man gut auf seine Grenzen achten muss und sich letztendlich somit viel Energie sparen.

Aber wie kann ich mir das Leben denn nun etwas leichter machen, wenn ich hochsensibel bin?

10f943dc f7ab 49f2 a61a dcbdf23b039d 1 201 a-so-bin-ich-eben

Wie kann ich mit meiner Hochsensibilität umgehen?

Die gute Nachricht ist: Auch wenn Hochsensibilität eine genetisch bedingte Eigenschaft ist, gibt es viele praktische Tipps und Tricks, wie man seinen Alltag so anpassen und gestalten kann, dass man seiner eigenen Reizschwelle und Belastungsgrenze Sorge tragen kann. 

Wie gehe ich mit Hochsensiblen in meinem Umfeld um?

gustavo lanes hkra4mfoxeq unsplash-so-bin-ich-eben

Für Personen, welche nicht hochsensibel sind, kann es oftmals schwierig sein, nachzuvollziehen, was in Hochsensiblen eigentlich vorgeht. Für Menschen, die also im Freundes- oder Familienkreis oder in der Partnerschaft mit einer hochsensiblen Person zu tun haben, kann es sehr hilfreich sein, sich darüber zu informieren. So gelingt es auch eher, Akzeptanz und Verständnis aufzubringen. Wichtig ist zudem auch, den Betroffenen die benötigte Ruhe und den Rückzug zu gewähren, statt dies zu bewerten oder sich davon persönlich angegriffen oder gekränkt zu fühlen. Für Hochsensible kann es auch extrem entlastend sein, wenn Personen in ihrem Umfeld sensitiv auf ihre Bedürfnisse sind, mitdenken und Rücksicht nehmen. Letztlich liegt die Verantwortung natürlich bei den Betroffenen, ihre Bedürfnisse und Grenzen zu kommunizieren – da dies aber auch Energie kostet,  kann aber natürlich sehr helfen, wenn man sich nicht jeden Tag mehrfach wiederholen muss.

Themen die Dich auch interessieren könnten

Schuldgefühle und Selbstvorwürfe endlich loslassen

Kennst du das Gefühl, wenn sich ein flaues Gefühl im Magen bemerkbar macht und du weißt, dass es Schuldgefühle sind, die dich plagen? Wir alle haben diese Momente erlebt, in denen wir uns selbst die Schuld für etwas geben und uns von einem Strudel negativer Gedanken verschlucken lassen. Aber warum sind wir oft so streng […]

Wenn eine Person immer die Hauptrolle spielt – histrionische Persönlichkeitsstörung

Bei manchen Personen scheint das Leben stets ein Drama zu sein – dramatisch gut oder dramatisch schlecht. Sie sind der Mittelpunkt auf jeder Party, einerseits durch ihr äußerliches Auftreten, andererseits durch außergewöhnliche Stories, die sie gekonnt zum Besten geben. Dadurch wird es auch nie langweilig in ihrer Gesellschaft. Ihr Lebensstil ist geprägt von der ständigen […]

Handysucht – was kann ich tun?

In einer Welt, in der Smartphones unser ständiger Begleiter sind, ist es leicht, in die Falle der Handysucht zu tappen. Das endlose Scrollen durch soziale Medien, das ständige Überprüfen von Benachrichtigungen – wir alle kennen diese Situationen nur allzu gut. Manchmal bemerken wir nicht einmal, wie viel Zeit wir tatsächlich mit unseren Handys verbringen, bis […]
Zurück nach oben