Negative Gefühle möchten wir alle nicht spüren. Deshalb laufen wir manchmal vor ihnen davon oder verdrängen sie. Aber kann es nicht auch sinnvoll sein, diese Gefühle zuzulassen?
Glück, Trauer, Wut, Angst, Ekel und Überraschung sind gängige Gefühle, die wir häufig verspüren. Was dabei auffällt: Es gibt mehr negative als positive Emotionen. Aber warum ist das so? Die negativen Gefühle waren früher für uns wichtig, um zu überleben. Sie haben uns vor Gefahren gewarnt und uns zum Handeln motiviert. Die positiven Emotionen halten uns ebenfalls am Leben, aber auf eine andere Weise: Denn Glück, Freude und Hoffnung schenken uns erst überhaupt die Lust am Leben und den Willen dazu. Aber nicht alle Menschen fühlen gleich oder gleich viel: Manche Menschen nehmen Gefühle sehr stark wahr, während andere Schwierigkeiten haben, einen Zugang zu ihren Emotionen zu finden. Eine stark verflachte Wahrnehmung von positiven, aber auch negativen Gefühlen kann auch auf eine Depression hindeuten. Aber was für Gefühle gibt es überhaupt, und warum sind sie so wichtig?
Unsere Emotionen lassen sich in adaptive (angemessene) und maladaptive (unangemessene) Emotionen unterteilen. Bei adaptiven Emotionen ist uns meistens bewusst, warum wir sie verspüren. Ist beispielsweise eine geliebte Person gestorben und wir sind unendlich traurig, dann wissen wir genau, woher unsere Gefühle kommen. Es handelt sich dabei also um eine der Situation angemessene Emotion.
Maladaptive Emotionen stammen hingegen meist aus der Vergangenheit und werden auf die Gegenwart projiziert. Stellen wir uns vor, wir sitzen mit einer Gruppe von Menschen zusammen und unterhalten uns. Plötzlich macht sich ein unangenehmes Gefühl in uns breit und wir fühlen uns einsam. Das ist ein maladaptives Gefühl, weil es mit dem Hier und Jetzt nicht in Verbindung steht. Vielleicht gab es irgendeinen Trigger, der dieses Gefühl bei uns hervorgerufen hat. Jedoch befinden wir uns in der Realität in einer Situation, in der man sich normalerweise alles andere als einsam fühlt.
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von open.spotify.com zu laden.
Zunächst ist es wichtig festzuhalten, dass jedes Gefühl immer okay und valide ist. Bei dem Begriff “unangemessen” handelt es sich lediglich um eine wissenschaftliche Bezeichnung. Diesen maladaptiven Gefühlen lohnt es sich auf den Grund zu gehen, damit wir sie in Zukunft besser steuern können.
Dazu braucht es eine gewisse Selbstreflexion. Wir müssen unsere Triggerpunkte kennen: Dazu sollten wir uns mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen und wissen oder zumindest lernen, wann bei uns Gefühle hochkommen, die nicht unbedingt mit dem Hier und Jetzt zusammenhängen. Die Auslöser für maladaptive Emotionen können sowohl von außen als auch von innen kommen, also beispielsweise durch eine aktuelle Situation oder von eigenen Gedanken oder Erinnerungen ausgelöst werden. Wenn wir eine solche Emotion wahrnehmen, geht es darum zu erkennen, ob sie im Hier und Jetzt angemessen ist oder nicht. Dazu hilft es, einen Schritt zurückzutreten und ganz objektiv auf die Situation zu schauen: Wer sitzt hier mit mir? Worüber haben wir gesprochen? Was genau hat die Emotion ausgelöst und bringt diese Emotion mich hier weiter?
Kommen negative Emotionen an die Oberfläche und wir realisieren, dass es maladaptive Emotionen sind, stellt sich häufig die Frage: Gefühle runterschlucken oder spüren? Manchmal kann es auch gut sein, schlechte Gefühle hochkommen zu lassen. Denn wenn wir sie vermeiden und somit gar nicht erst fühlen, können wir sie auch nicht wirklich verarbeiten. Wenn uns z. B. die Tatsache traurig macht, dass wir keine ernsthafte Bindung eingehen können, wir dann aber genau diese Trauer verdrängen, dann werden wir nichts an der Situation ändern können.
Auf kurzfristige Sicht sparen wir uns für einen kleinen Moment die Konfrontation mit unseren negativen Gefühlen. Auf längere Sicht hindert uns das Verdrängen aber daran, ein lebendiges Leben zu führen. Denn Emotionen sind dafür da, uns einen Anstoß zu geben und zur Handlung zu motivieren. Hinter Emotionen steckt ein Bedürfnis, das wir nicht ignorieren sollten. Ignorieren wir es dennoch, kommen die Gefühle oft so lange wieder, bis wir dem jeweiligen Bedürfnis nachgehen.
Emotionen wahrzunehmen klingt zunächst leicht. Das ist es aber nicht für alle Menschen. Manchen fällt es aus unterschiedlichen Gründen schwer, Zugang zu ihren eigenen Emotionen zu finden.
Aber wieso ist das so? Eine mögliche Erklärung wäre die Tatsache, dass unsere Emotionen, die sich schon in den ersten Lebensmonaten entwickeln, sich durch die immer wiederkehrende Interaktion zwischen Eltern und Kind einspuren, indem gewisse Botenstoffe wie z.B. das “Kuschel- und Bindungshormon” Oxytocin ausgeschüttet werden. Diese Botenstoffe, also Hormone und Neurotransmitter, kann man als die Hardware der Emotionen verstehen: Denn ohne sie können wir nicht fühlen. Sie sind der stoffliche Träger unserer Emotionen.
Nehmen wir das Beispiel des Säuglings. Erfährt dieser zu wenig Zuwendung, lernt er schnell den Wunsch nach Zuneigung zu unterdrücken. So werden die daran beteiligten Hormone selten oder gar nicht erst ausgeschüttet und die Hormonkreisläufe können sich nicht wiederholen. Das führt dazu, dass der Säugling die damit verbundenen Emotionen nicht richtig verspürt und der Wunsch nach Nähe im schlimmsten Fall gar nicht erst gefestigt wird.
Eine schwerwiegende mögliche Folge von frühkindlicher emotionaler Entbehrung ist die Entwicklung einer schizoiden Persönlichkeitsstörung. Menschen mit schizoiden Persönlichkeitszügen entwickeln keine Objektkonstanz. Das bedeutet, dass sie keine innere Bindung zu den Eltern entwickeln, die ihnen Gewissheit darüber gibt, dass sowohl Vater als auch Mutter immer für ihr Kind da sind, auch dann, wenn sie sich gerade nicht im Blickfeld desselben befinden.
Neben früher emotionaler Entbehrung gibt es aber auch vielfältige andere Gründe dafür, wieso Menschen Schwierigkeiten haben können, ihre eigenen Emotionen wahrzunehmen. Allgemein kann es sich für diese Menschen lohnen, Emotionen nicht reflexartig zu verdrängen, wenn sie aufkommen, sondern nachzuspüren, woher sie kommen und was sie einem sagen. So kann man sich nur selbst besser kennenlernen.
Wie können wir dazu bereit werden, unangenehme Gefühle zu spüren und anzunehmen? Es ist wichtig zu wissen, dass unangenehme Gefühle aushaltbar und temporär sind. Wenn wir aufkommende Gefühle immer verdrängen, entsteht der Eindruck, dass wir sie gar nicht aushalten können. Wir haben am meisten Angst vor Gefühlen, die wir nicht kontrollieren können. Jedoch ist das Aushalten einer Emotion eine Form der Kontrolle. Haben wir einmal eine negative Emotion ausgehalten, lernen wir, dass sie nicht ewig anhält.
Als Übung dazu können wir versuchen, dieses Gefühl aufkommen zu lassen und uns auf dieses als solches zu konzentrieren. Alle Assoziationen, die wir zu dem Gefühl haben, blenden wir aus. Haben wir beispielsweise Angst, vor einer Gruppe zu sprechen und ein Vortrag steht bevor, kann es helfen, sich rein auf das Gefühl zu konzentrieren. Das kann ein Kribbeln im Bauch oder in der Brust sein, schwitzige Hände oder Herzklopfen. Nun blenden wir den Umstand des bevorstehenden Vortrags aus, nehmen nur das Gefühl wahr und können dann die Erfahrung machen, dass dieses unangenehme Gefühl in den meisten Fällen von dannen zieht. Ein unangenehmes Gefühl hält nicht ewig an.
1
Sich entspannen und in den Bauch atmen. Bauchatmung intensiviert in der Regel Gefühle, kann aber auch zur Entspannung beitragen.
2
Wahrnehmen, was im eigenen Körper passiert.
3
Akzeptieren, was wir fühlen. Alles, was bei dabei hochkommt, ist okay.
4
Beginnen, das Gefühl innerlich zu beschreiben, ohne es zu bewerten.
5
Reflektieren: Gibt es irgendeine Interpretation der Wirklichkeit, die dieses Gefühl erzeugt? Oder ist die Realität vielleicht gar nicht so, wie wir sie interpretiert haben? Gibt es andere Möglichkeiten der Interpretation?
Mehr über Gefühlsbereitschaft erfahrt ihr in dem neuen psychologischen Sachbuch „Fühl dich ganz“ von Lukas Klaschinski. In „Fühl dich ganz“ verbindet Lukas persönliche Erlebnisse mit der Theorie der Akzeptanz- und Commitment-Therapie, durch die er euch hilfreiche Tools und Werkzeuge an die Hand gibt, besser mit euren angenehmen und unangenehmen Gefühlen in Verbindung zu kommen.